Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

Einleitung

Der hier präsentierte "Katalog konstruktiver Aspekte in Nachkriegsberichterstattung" ist entstanden im Rahmen des von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten Projektes "Nachrichtenmedien als Mediatoren von Demokratisierung, Peace-Building und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften", welches in der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz bearbeitet wurde.

Im Zentrum dieses Projekts stand die Frage, wie JournalistInnen durch die Art ihrer Berichterstattung während Nachkriegsprozessen dazu beitragen könnten, ihrer Leserschaft ein tieferes Konfliktverständnis zu vermitteln, welches über traditionelle Gut-Böse-Konstruktionen hinausweist und zivilen Formen der Konfliktbearbeitung förderlich ist. Es galt, bereits vorhandene Ansätze eines Journalismus zu identifizieren, welcher im besten Fall Prozesse der Konsolidierung, Demokratisierung und Aussöhnung in Nachkriegsgesellschaften nicht nur beschreibt, sondern unterstützt.

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass "die Wirklichkeit" sozial konstruiert ist, also im Auge des Betrachters liegt, und damit auch das, was eine Journalistin/ein Journalist als jeweilige Wirklichkeit erkennt und weitervermittelt, ihren Sehgewohnheiten und ihrem Blickwinkel entspricht. Theoretisch basiert der vorliegende Katalog auf Modellen der Konflikteskalation und konstruktiver Konfliktberichterstattung (Kempf, Reimann & Luostarinen, 1996; ASPR, 2003) und des Friedensjournalismus von Galtung (1998; McGoldrick & Lynch, 2000). Praktisch führt er über diese Modelle hinaus, da er anhand empirischen Materials der tatsächlich von JournalistInnen geschriebenen und veröffentlichten Artikel in deutschen Tageszeitungen entwickelt wurde. Unser Augenmerk lag dabei neben den von den oben genannten Autoren identifizierten Merkmalen vor allem darauf, was uns "neu" im Sinne von "abweichend vom Mainstream der Berichterstattung" und besonders "kreativ" erschien. Da das vorgestellte empirische Material zeigt, dass JournalistInnen häufig besser sind als ihr Ruf und durchaus kreativ und konstruktiv über Nachkriegssituationen berichten können, ging es darum, anhand gelungener Beispiele zu lernen, wie eine solche Berichterstattung praktisch aussehen kann.

Die ausgewählten Zeitungsartikel stammen aus zwei unterschiedlichen Konfliktfeldern: Einerseits wurde in der Berichterstattung über Frankreich während des deutsch-französischen Aussöhnungsprozesses von 1946 bis 1970 nach journalistischen Bemühungen gesucht, der deutschen Leserschaft - bei allen historischen Höhen und Tiefen der Beziehung - den ehemaligen "Erbfeind" näher zu bringen und damit den Aussöhnungsprozess zumindest indirekt zu unterstützen. Andererseits wurde die deutsche Berichterstattung über Jugoslawien nach dem Sturz von Milosevic von Oktober 2000 bis März 2002 untersucht. Vor allem interessierte uns, wie den Lesern die Transformationsprozesse in einem postsozialistischen südosteuropäischen Land vermittelt werden, das sich 1999 noch im Krieg mit der NATO befand und für die westliche Welt als Prototyp nationalistischen Großmachtstrebens galt, während es sich mittlerweile auf einem Demokratisierungskurs befindet und sogar den Weg in die Europäische Union anstrebt.

In der Auseinandersetzung mit den Texten ist eine Art "Katalog" entstanden, in dem die gefundenen konstruktiven Aspekte systematisiert werden, der aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Originalität erhebt. Auch nützt es wenig, diese einzelnen konstruktiven Aspekte bei der Textproduktion schematisch anzuwenden: Ob sie konstruktiv oder destruktiv zu verstehen sind, ergibt sich häufig erst aus dem Kontext des gesamten Artikels. Dennoch lässt sich anhand der Beispiele erkennen, dass konstruktive bzw. versöhnungsorientierte Nachkriegsberichterstattung nicht erst erfunden werden muss, sondern immer wieder stattfindet. Und wenn dieser Katalog dazu beitragen kann, dass das ein oder andere Textmerkmal in die praktische journalistische Arbeit einfließt, dazu anregt, selber kreativ zu werden und den Katalog zu erweitern, oder einfach nur den Blick auf manche Aspekte lenkt, die sonst leicht übersehen werden, dann sehen wir seinen Zweck durchaus erfüllt.

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Literatur
ASPR (Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution) (ed.), 2003. Constructive conflict coverage. A social psychological approach.
Berlin: regener.
Galtung, J., 1998. Friedensjournalismus: Warum, was, wer, wo, wann? In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.). Krieg, Nationalismus,
Rassismus und die Medien. Münster: Lit, 3-20.
Kempf, W., 2002. Conflict coverage and conflict escalation. In: Kempf, W., Luostarinen, H. (eds.). Journalism and the New World Order.
Vol. II. Studying war and the media. Göteborg: Nordicom, 59-72.
Kempf, W., Reimann, M., Luostarinen, H., 1996. Qualitative Inhaltsanalyse von Kriegspropaganda und Kritischem Friedensjournalismus.
Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 32/1996 (www.ub.uni-konstanz.de/serials/kempf.htm).
McGoldrick, A., Lynch, J., 2000. Peace journalism - How to do it? London: Transcend (www.transcend.org)