Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004

4 Emotional involvement in the conflict
D4 De-escalation-oriented pole: Constructive emotions
D4.4

Empathy for "their" situation opens up a new perspective: if we can find a solution (together) that takes all sides' needs into account, reconciliation will become possible

    Example D4.4.1



Frankfurter Rundschau, 7.10.2000, S.3 (Kommentar)

Partner Serbien

Russlands Außenminister hat dem jugoslawischen Präsidenten seine Aufwartung gemacht. Die diplomatische Umarmung war zugleich Moskaus Todeskuss für den bisher mit Bedenken, aber ohne großes Wanken unterstützten Slobodan Milosevic. Ein Vorgang von einiger Tragweite ist das, international gewichtiger vielleicht als der schiere Machtwechsel, den die Volksbewegung in Belgrad erzwungen hat, indem sie ein abgewähltes Regime vollends über die Reling kegelte. Die russische Balkan-Politik hat wieder Tritt gefasst. Einige Tage lang schien sie beharrlich auf dem Pfad ins Nirgendwo zu bleiben, auf dem sich die politische Spur Milosevics verloren hat. Moskau hatte zu vermitteln versucht, wo nichts mehr zu vermitteln war. Das Angebot, beiden Rivalen in Moskau ein Gerüst für einen Kompromiss zu zimmern, war in dem Augenblick weltfremd, als es öffentlich wurde. Revolutionen sind schneller. Sie schaffen Tatsachen. Und das haben Igor Iwanow, der als erster Chefdiplomat eines großen Landes nach Belgrad flog, und sein oberster Dienstherr Wladimir Putin dann sehr gründlich begriffen. Sie bieten dem gewendeten Rest-Jugoslawien die Partnerschaft, die es dringend braucht. Damit entstehen Chancen.

Russland, in der Kontaktgruppe oft und lange ein Außenseiter, kann wesentlich dazu beitragen, der neuen Macht in Belgrad die Wege aus der vom alten Regime verursachten Isolation zu bahnen. Es ist ja nicht zu übersehen, dass auch Vojislav Kostunica das für jede politische Bewegung in seinem Land konstitutive nationalistische Element nicht aufgeben kann. Zu diesem gehört das im Bewusstsein gesellschaftlich formender Kräfte alles bestimmende Misstrauen gegen die Nato, gegen die USA, die berechtigte Klage über die Kriegszerstörungen; auch wenn sich die Einsicht Bahn bricht, dass zu den Krieg verursachenden Faktoren gerade die Figur Milosevic gehört hat - die Bombardements und die Sanktionen hatten westliche Absender, und das wird so rasch nicht vergessen. Das Misstrauen zu überwinden ist eine Aufgabe auf lange Sicht. Um sie zu erleichtern, ist das politische Konglomerat, das sich vereinfachend unter dem Begriff "der Westen" zusammenfassen lässt, auf die russische Mithilfe angewiesen. Das hat weite Dimensionen; jede Moskauer Führung kann der Versuchung erliegen, die Sentiments und Ressentiments gerade zu schüren, dem eigenen Nutzen zuliebe. Wie sich die neue Eingliederung Jugoslawiens in die Institutionen und die Wertegemeinschaften des Kontinents bewerkstelligen lässt, hängt sehr stark auch von dem Verhältnis ab, das die großen, mittleren und kleineren Mächte des westlichen und mittleren Europa zu Russland aufbauen. Materiell freilich hat "der Westen" Angebote zu machen, welche über die Möglichkeiten des russischen Staates weit hinaus gehen; nur in der Geste der Anerkennung war Russland einen Takt voraus.

Die angekündigte Aufhebung wesentlicher Sanktionen ist nur der allererste Schritt. Sehr rasch muss eine umfassende Wiederaufbauhilfe folgen, nicht aus dem Verständnis heraus, dass Sieger großmütig sein sollen, denn Sieger war das serbische, das jugoslawische Volk, nicht das Abstraktum "Westen". Vielmehr geht es darum, die balkanischen Wohnungen im einstmals, vor langen zehn Jahren, beschworenen Haus Europa bewohnbar zu machen.

Jugoslawien also ist als integrierender Bestandteil einer den gesamten Balkan fördernden Politik zu betrachten, wie es Einsichtigere unter den europäischen Politikern seit geraumer Zeit versuchen. Die Wiederherstellung der Verkehrswege, von der auch die indirekten Opfer der diversen Embargos, wie Bulgarien und Rumänien, Nutzen haben werden, ist eine Aufgabe des Tages. Den Arbeitern Jugoslawiens Arbeit zu verschaffen durch den Wiederaufbau der Produktionsanlagen, die Vermeidung eines in anderen Transformationsländern tolerierten oder gar gewollten raubkapitalistischen Enteignungsprozesses sind dringende Tagesaufgaben. Sie sind zu bewältigen; es bedarf des Willens und der materiellen Anstrengung. Andere Hinterlassenschaften zu räumen, ist schwieriger. Der Status von Kosovo, das Sühnen von Kriegsverbrechen, die Anerkennung und dauerhafte Respektierung der nationalen Würde der Völker - Stichworte nur, die den Berg der Probleme knapp beschriften. Vor der Siegerpose, vor dem moralischen Diktat müssen sich alle hüten, die nun mit Recht über den ersten und entscheidenden Sieg der demokratischen Bewegung Glücksgefühle entwickeln. Nicht die Erteilung von Rezepturen, die manche politische Quacksalberei enthalten können, ist nun angesagt, sondern Solidarität. Das personelle Hindernis, das dem bislang entgegenstand, ist gefallen, fürs erste; Ungeschick und Besserwisserei können die nächsten Hindernisse ungeahnt rasch errichten. Die neue Belgrader Führung ist nationalistisch, wie könnte es anders sein. Man soll ihr dies nicht vorhalten. Man muss sie nehmen, wie sie ist, man muss ihr deutlich machen, was sie sein kann: Ein Partner in einem Europa, das viele Gestalten hat und fähig ist, ein großes Gut zu entwickeln: Gegenseitige Toleranz.

Karl Grobe

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