Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Süddeutsche Zeitung,
17.10.2000, S.11
Städtepartnerschaft
mit Novi Sad
Dortmund
half, als die Bomben fielen
Die westfälische Metropole
unterbrach nie die Unterstützung der Vojvodina-Hauptstadt
Von Ruth Ciesinger
Die
Windeln hatten es in sich. Unter den Stapeln weißer Plastikhöschen,
deklariert als "Humanitäre Leistung Dortmunds an die Partnerstadt
Novi Sad", stapelten sich Computer, Megafone und ein abhörsicheres
Satellitentelefon - ebenfalls Gaben aus der westfälischen Metropole, aber
weniger offizieller Natur. Hätten die serbischen
Grenzer das geahnt, hätte der ehemalige Stadtrat Alexander Ivkovac wohl
mehr als die 200 Mark gebraucht, um den Laster undurchsucht nach Novi Sad zu
bringen. Weil die Miliz aber ahnungslos blieb, bekam das Heim für behinderte
Kinder Nachschub an Hygieneartikeln und die Oppositionsparteien erhielten Ausstattungen
für ihre spärlich bestückten Büros.
Seit
Beginn der Kriege im ehemaligen Jugoslawien unterstützte Dortmund die Hauptstadt
der Provinz Vojvodina, zusammen mit Organisationen wie dem Roten Kreuz, der
evangelischen Kirche sowie Privatpersonen; die seit 1981 bestehende Städtepartnerschaft
zerbrach auch während der 90er Jahre nicht. Insofern ist Dortmund "eine
Ausnahme", wie auch der ehemalige Dürener Bürgermeister Josef
Vosen begeistert feststellt. Vosen koordiniert die "Städteprojektpartnerschaften",
die das Auswärtige Amt Anfang des Jahres im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt
in Brüssel ins Leben gerufen hat. Als Konsequenz aus dem Kosovo-Krieg wollte
Berlin die serbische Bevölkerung unterstützen - besonders die Opposition.
Auf Regierungsebene war das aus naheliegenden Gründen nicht möglich,
deshalb griff man auf den direkten Städtekontakt zurück, beteiligte
sich finanziell an bereits bestehender Zusammenarbeit und vermittelte neue Partner.
Außerdem sei die direkte Hilfe durch eine andere Stadt "weniger anonym",
sagt Vosen - der Westen sollte ein Gesicht bekommen.
Die
Nato-Bomber flogen noch Angriffe auf die Industriestadt, zerstörten die
Raffinerie, die drei Donaubrücken und die Trinkwasserversorgung - da rollten
schon die Laster mit Lebensmitteln aus Dortmund , man intensivierte sogar die
bisherige Hilfe. Denn in Novi Sad hätten die demokratischen Parteien immer
die Mehrheit im Stadtrat gehabt, sagt Dieter Dieckerhoff von der Dortmunder
Stadtverwaltung. Die wollte man weiter unterstützen,
ebenso die Menschen, die unter den Folgen der Bombardierung und des Embargos
litten.
Bei Alexander Ivkovac gewinnt man den Eindruck, dass
das Konzept aufgegangen ist. Ivkovac spricht gerade auf der anderen Leitung;
bis er aufgelegt hat, erzählt eine Kollegin begeistert, wie bekannt jene
Dortmunder in Novi Sad seien, die Lebensmittellieferungen begleitet oder im
Behindertenheim geholfen hätten - eine, Hannelore Lamche, ist mittlerweile
Ehrenbürgerin in Novi Sad. Ivkovac selbst hat lange der Liga der Sozialdemokraten
der Provinz Vojvodina angehört und ist inzwischen parteilos. Für
ihn haben alle Projekte von der Suppenküche im Winter bis zu Medikamentenlieferungen
dazu beigetragen "die Milosevic-Partei in Novi Sad weiter zu schwächen".
Das Vertrauen der Bevölkerung in die Stadtverwaltung sei dadurch gestärkt
worden, denn Belgrad habe sie als Opposition äußerst knapp gehalten.
"Die wichtigste Hilfe für uns war aber
die Unterstützung der Oppositions-Medien", sagt Ivkovac. Vom Bundespresseamt
flossen Gelder an unabhängige Zeitungen und Radiosender - auch dank der
Ansprechpartner aus Dortmund. Druckpapier und technische Geräte wurden
in riskanten Unternehmungen am Zoll vorbei geschmuggelt. Sabine Westphal, die
oft in Jugoslawien war, hatte in der Handtasche meist Mini-CD-Spieler oder anderes
Material für illegale Radiosender dabei. Sie ist immer noch beeindruckt
von dem "Enthusiasmus, mit dem gearbeitet wurde". Einmal hat sie einen
Sender besucht, der im dritten Stock eines Hauses untergebracht war. Draußen
stand der Übertragungswagen des staatlichen Fernsehens, doch keiner war
beunruhigt. Im Gegenteil, die Mitarbeiter hätten sich sicherer gefühlt
- niemand hätte an diesem Platz einen Piratensender vermutet. "Ich
glaube", so Westphals Fazit, "unsere Hilfe hat erhebliche moralische
Unterstützung gebracht. "
Deutlich zurückhaltender klingt es, wenn Dieckerhoff
über die humanitären Hilfeleistungen spricht: "Es war nicht mehr
als ein Tropfen auf einen heißen Stein. " Er hofft, dass nun verstärkt
Geld fließt, auch von der Europäischen Union. Weitergemacht wird
trotzdem. Dortmund hat ein Projekt zum Schutz des vom
Raffinerie-Öl bedrohten Trinkwassers in die Wege geleitet. Unter anderem
sollen dabei auch Dozenten und Studenten der Universität Dortmund in Novi
Sad mitarbeiten. Für diese eine "günstige Gelegenheit zu lernen",
findet Dieckerhoff: "Bei uns läuft doch höchstens mal ein Tank
im Heizungskeller aus. "
Bildunterschrift:
Alle drei Donaubrücken in Novi Sad wurden während des Kosovo-Krieges
zerstört - im Bild die Varadin-Regenbogen-Brücke beim, inzwischen
abgeschlossenen, Neuaufbau. Trotzdem kamen während der Bombenangriffe Lebensmitteltransporte
aus Dortmund in die Hauptstadt der Vojvodina.
Foto: AP/SZ
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