Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004

1 Conceptualization of the (conflict-) situation
D1 De-escalation-oriented pole: Query of polarization, support of war and/or confrontationist / military logic
D1.1

Win-win orientation (or at least questioning win-lose) and/ or presentation of structures for possible cooperation (construction of the conflict as a cooperative process)

    Example D1.1.3


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.2.1962, S. 1 (Kommentar)

Die Partner von Baden-Baden
Von Alfred Rapp

Wieder haben Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sich getroffen. Wieder haben der Franzose und der Deutsche über Europas Einigung gesprochen. Nicht darüber, ob, sondern wie sie kommen solle, geht die deutsch-französische Diskussion; und viele haben zu rasch vergessen, daß diese Übereinstimmung im Ziel noch vor wenigen Jahren durchaus nicht selbstverständlich war. Immerhin war der Bundeskanzler bei der ersten Begegnung mit dem französischen Staatschef freudig überrascht, einen europäisch gesinnten de Gaulle kennenzulernen, einen neuen de Gaulle. Vielleicht verführte diese Überraschung, diese höchst angenehme Erkenntnis, daß man sich in europäischer Gemeinsamkeit finde, dazu, die Verschiedenheit in der Gemeinsamkeit zu unterschätzen.
Die Haltung des französischen Staatschefs in den Verhandlungen über die weitere Entwicklung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behob zwar alle Bedenken der Partner, Paris werde zur Bremse werden wollen. Aber von Anfang an liebte der General de Gaulle nicht das Wort Integration. Während viele Baumeister der europäischen Gemeinschaft im Wirtschaftlichen einen Modellbau europäischer Zusammenfügung schaffen wollten und zu bauen glaubten, sprach de Gaulle abwehrend von der "supranationalen Souveränität", und die Autorität der europäischen Institutionen in Brüssel hatte keinen großen Freund in Frankreichs Staatschef. Während in Bonn viele in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die erste Phase und das Fundament europäischer Integration priesen, sprach de Gaulle das Wort vom "Europa der Vaterländer".
Adenauer pflegt nur ungern solche Formeln zu prägen; müßte er jedoch es in diesem Fall, so würde er vom "Vaterland Europa" sprechen. Über den Europäer Adenauer ist viel Falsches gesagt worden. Das Wort vom "Karolinger Adenauer" kam auf, mit dem unverkennbaren Beiklang universaler Katholizität und mit dem Akzent der Restauration eines längst vergangenen Gebildes der Geschichte. Doch der europäische Gedanke des deutschen Regierungschefs haftet viel weniger an der Vergangenheit als in der Zukunft Europas. Auch der Bundeskanzler ist wie der französische Regierungschef im Europa der Nationen aufgewachsen; beide wurzeln in diesem Europa vor dem großen Umbruch, der mit dem Ersten Weltkrieg begann, in dem Abendland, in dem das Vaterland der Güter höchstes schien. Doch die junge Generation der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts fühlt anders, und keiner wird widersprechen können, wenn Adenauer fühlt und erkennt, daß diese Jugend Europa will und ihr Ideal nach dem furchtbaren Bürger- und Bruderkrieg der Nationen nun Europas Einigung ist. Sagt Adenauer Europa, so denkt er an die Jugend und an deren Zukunft und nicht an das Reich Karls des Großen, und er meint mehr als den Bund der Vaterländer.
Niemals hätte er de Gaulles Wort, eine integrierte Nation sei eine ausgelöschte, sprechen können, und dieses Wort hat ihn hart getroffen. Aber wie die Notwendigkeiten von morgen erkennt er auch die Wirklichkeiten von heute an; und so hat Bonn sich nie den französischen Plänen widersetzt, die politische Gemeinschaft in der föderativen Form zu bilden, die auch eine Konföderation genannt werden kann. Die Staatsrechtler werden streiten, ob der Begriff des Staatenbundes zutreffen kann. Die Politiker können meinen, man betrete erst den Weg zu ihm in der vorgesehenen und vorgeschlagenen politischen Union. Aber auch die Bonner Politiker sind bereit, diesen Weg zu gehen.
Es wäre fast albern, zu meinen, der Kanzler fürchte in Frankreichs Vorschlägen den Versuch, eine Hegemonie von Paris in der Europäischen Union zu schaffen. Niemals hat er sich durch solche Befürchtungen bestimmen lassen, wie auch andererseits - was die Warner vor französischen Primatsansprüchen bei uns vergessen - de Gaulle sich nicht durch Warnungen seiner Landsleute vor einem deutschen Übergewicht bestimmen ließ. Auch in solch posthumer Art lebt die vergangene deutsch-französische Rivalität nicht weiter. Aber die Geister scheiden sich, wenn die politische Föderation etwa die Verzahnung in der wirtschaftlichen Integration lockern sollte.
Das Nebeneinander von wirtschaftlicher Integration und politischer Föderation wird Bonn billigen. Ein Übergreifen des Föderativen auf das Integrierte kann es nicht annehmen. Um diesen Grundsatz ging es in den letzten Verhandlungen der Sachverständigen und in dem Gespräch der beiden Regierungschefs in Baden-Baden über die politische Union; und im Konkreten schlägt sich jener Grundsatz in der Forderung und Notwendigkeit säuberlicher Scheidungen der beiden Bereiche nieder. Die Scheidung bedeutet und bringt einen Kompromiß. Die eine Seite verzichtet, sicherlich nicht leichten Herzens, auf den politischen Ausbau der Integration und erkennt den zweiten Weg zur Einigung Europas an. Die andere Seite erkennt die Parallelität der beiden Wege an und gesteht zu, daß das Voranschreiten auf dem neuen Weg keinen Rückschritt auf dem alten Weg bedeuten darf.
Das gleiche gilt für die Verzahnung aller Mitgliedstaaten der politischen Union in der atlantischen Gemeinschaft. Wenn der Kanzler seit Jahren fordert, daß die Zusammenarbeit in der Nato sich verstärke, kann er nicht wünschen, daß sie durch eine politische Föderation in Europa geschwächt werde. Daß manche Gedanken de Gaulles und Adenauers über die Nato auseinandergehen, wissen nicht nur sie beide, sondern alle Beteiligten. Dennoch ist der französische Staatschef bei all seiner Kühle gegenüber der Nato kein "Antiatlantiker", und ebensowenig stehen er und Adenauer sich in den Beratungen über die politische Föderation als "Anti-Europäer" und "Europäer" gegenüber. Sie finden sich in der Erkenntnis, daß das freie Europa mit seinen vielen Menschen, mit seiner wirtschaftlichen Kraft, seiner Arbeitsfähigkeit, seinem Können und Wissen, wenn es sich zusammenfindet, seine Bedeutung wieder finden wird. Die Europäer von heute sind nicht die Griechen im alten Römischen Reich, mit denen sie eine verzagte Resignation oft vergleicht. Europa kann eine Kraft sein; und de Gaulle und Adenauer wollen, daß es eine Kraft werde. Das "Europa der Vaterländer" und das "Vaterland Europa" sind zwar zwei Bilder der Einheit Europas. Aber es sind keine einander ausschließenden Kontraste. Denn "Vaterland Europa" heißt nicht Verzicht auf das engere Vaterland, und das Europa der Vaterländer ist kein Verzicht auf Europa.

 

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