Frankfurter
Rundschau, 23.7.1949, S. 16
Der Prozeß gegen
Otto Abetz
Drahtbericht unseres Frankreich-Korrespondenten Kurt
Kornicker
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PARIS,
22. Juli. Der Prozeß gegen Otto A b e t z, den ehemaligen Botschafter
Hitler-Deutschlands in Paris zur Zeit der deutschen Besetzung, der sich
seit anderthalb Wochen vor einem französischen Militärgericht
im Pariser Justizpalast abspielt, wird von der hiesigen Oeffentlichkeit
mit außerordentlicher Spannung verfolgt. Die Pariser Zeitungen widmen
den Prozeßberichten einen weiten Raum. Einige Blätter, wie
der "Figaro" und "L´Aurore" haben sogar regelmäßig
seitenlange Auszüge aus dem stenographischen Protokoll veröffentlicht.
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Die
französische Justiz hat, trotz allem, was während des Krieges
in Frankreich geschah und noch nicht vergessen, ist, alles Erdenkliche getan,
um dem Angeklagten jede Verteidigungsmöglichkeit zu geben und vom ersten
Tage an abstrahiert, daß hier auf der Anklagebank ein Deutscher, ein
ehemaliger Gegner sitzt. |
In
dem Prozeß Abetz gab es drei Höhepunkte: die Anklagerede Paul
R e y n a u d s, der Abetz des Mordversuches an ihm selbst und Léon
B l u m bezichtigte und ihn bis zu einem gewissen Grade für das Ende
des früheren französischen Innenministers Georges M a n d e l
verantwortlich machte, ferner die Aussage eines anderen Zeugen, Maurice
N è g r e, eines einflußreichen Mitgliedes der französischen
Widerstandsbewegung, der als Geisel verhaftet wurde und dessen Hinrichtung
Abetz gefordert hatte. Nègre erklärte, daß er trotzdem
keinerlei Rachegefühl gegen Abetz hege. Er und seine Freunde hätten
sich gegen Abetz gewehrt. Sie hätten das Pech gehabt, ihm in die Hände
zu fallen und das sei alles, was er zu diesem Thema zu sagen habe. |
Besondere
Erwähnung verdient schließlich die Zeugenaussage des Generals
von C h o l t i t z, des einstigen Militärbefehlshabers von Groß-Paris,
der im August 1944 den Befehl erhielt, das bereits an vielen Stellen unterminierte
Paris in die Luft zu sprengen und
dessen Widerstand gegen den Befehl zu verdanken ist, daß Paris heute
kein Ruinenmeer, sondern eine der schönsten und besterhaltenen Großstädte
Europas ist. Choltitz erklärte, daß ihm Abetz dabei
geholfen habe, und daß er seinerzeit in entscheidender Stunde gegen
die Nichtausführung des Befehls keinen Einspruch erhoben habe |
Der
Anklagevertreter F l i c o t e a u x betonte, daß Abetz für eine
ganze Reihe von Kriegsverbrechen, die in Frankreich während seiner
Botschafterzeit begangen wurden, in vollem Umfang verantwortlich zu machen
sei: 1. für die systematische Plünderung von Kunstschätzen,
2. für die Judenverfolgungen und Deportationen, 3. für die zwangsweise
Verschleppung französischer Arbeiter nach Deutschland, besonders in
der Zeit vom Mai bis November 1942 und 4. für die Deportation einer
Anzahl französischer Generäle, Präfekten und hoher Verwaltungsbeamter.
Außerdem müsse er für eine Reihe vorbereitender Handlungen
verantwortlich gemacht werden, die zur Verhaftung und schließlich
zu der Ermordung von Georges Mandel geführt hätten. Der
Anklagevertreter betonte, daß Abetz nicht in seiner Eigenschaft als
Deutscher, sondern als Kriegsverbrecher vor dem Militärgericht stehe
und nur als solcher verurteilt werden dürfte. Er beantragte mit Rücksicht
auf gewisse mildernde Umstände die Mindeststrafe von 20 Jahren Zwangsarbeit. |
Der
Verteidiger von Abetz, Floriot, erklärte in einer längeren Rede,
daß Abetz auch unter den schwierigsten Verhältnissen aufrichtig
für eine deutsch-französische Verständigung gearbeitet habe.
Er habe sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht und oft gegen die
Anweisungen seiner vorgesetzten Behörde gehandelt. Der Verteidiger
betonte vor allem, daß die Gestapo ihre Schreckensherrschaft in Frankreich
völlig selbständig und unabhängig von der deutschen Botschaft
durchgeführt habe. Der Verteidiger gab seinem Bedauern darüber
Ausdruck, daß das Gericht nur über einen verhältnismäßig
kleinen Teil der Akten und einen winzigen Ausschnitt aus dem Telegrammwechsel
verfüge, der zwischen Abetz und R i b b e n t r o p geführt wurde.
Er plädierte auf Freispruch. |