Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 17.2.1962, S. 1 (Kommentar)
Die Partner von Baden-Baden
Von Alfred Rapp
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Wieder
haben Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sich getroffen. Wieder haben
der Franzose und der Deutsche über Europas Einigung gesprochen. Nicht
darüber, ob, sondern wie sie kommen solle, geht die deutsch-französische
Diskussion; und viele haben zu rasch vergessen, daß diese Übereinstimmung
im Ziel noch vor wenigen Jahren durchaus nicht selbstverständlich
war. Immerhin war der Bundeskanzler bei der ersten Begegnung mit dem französischen
Staatschef freudig überrascht, einen europäisch gesinnten de
Gaulle kennenzulernen, einen neuen de Gaulle. Vielleicht verführte
diese Überraschung, diese höchst angenehme Erkenntnis, daß
man sich in europäischer Gemeinsamkeit finde, dazu, die Verschiedenheit
in der Gemeinsamkeit zu unterschätzen.
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Die
Haltung des französischen Staatschefs in den Verhandlungen über
die weitere Entwicklung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behob
zwar alle Bedenken der Partner, Paris werde zur Bremse werden wollen. Aber
von Anfang an liebte der General de Gaulle nicht das Wort Integration. Während
viele Baumeister der europäischen Gemeinschaft im Wirtschaftlichen
einen Modellbau europäischer Zusammenfügung schaffen wollten und
zu bauen glaubten, sprach de Gaulle abwehrend von der "supranationalen
Souveränität", und die Autorität der europäischen
Institutionen in Brüssel hatte keinen großen Freund in Frankreichs
Staatschef. Während in Bonn viele in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
die erste Phase und das Fundament europäischer Integration priesen,
sprach de Gaulle das Wort vom "Europa der Vaterländer". |
Adenauer
pflegt nur ungern solche Formeln zu prägen; müßte er jedoch
es in diesem Fall, so würde er vom "Vaterland Europa" sprechen.
Über den Europäer Adenauer ist viel Falsches gesagt worden. Das
Wort vom "Karolinger Adenauer" kam auf, mit dem unverkennbaren
Beiklang universaler Katholizität und mit dem Akzent der Restauration
eines längst vergangenen Gebildes der Geschichte. Doch der europäische
Gedanke des deutschen Regierungschefs haftet viel weniger an der Vergangenheit
als in der Zukunft Europas. Auch der Bundeskanzler ist wie der französische
Regierungschef im Europa der Nationen aufgewachsen; beide wurzeln in diesem
Europa vor dem großen Umbruch, der mit dem Ersten Weltkrieg begann,
in dem Abendland, in dem das Vaterland der Güter höchstes schien.
Doch die junge Generation der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts fühlt
anders, und keiner wird widersprechen können, wenn Adenauer fühlt
und erkennt, daß diese Jugend Europa will und ihr Ideal nach dem furchtbaren
Bürger- und Bruderkrieg der Nationen nun Europas Einigung ist. Sagt
Adenauer Europa, so denkt er an die Jugend und an deren Zukunft und nicht
an das Reich Karls des Großen, und er meint mehr als den Bund der
Vaterländer. |
Niemals
hätte er de Gaulles Wort, eine integrierte Nation sei eine ausgelöschte,
sprechen können, und dieses Wort hat ihn hart getroffen. Aber wie die
Notwendigkeiten von morgen erkennt er auch die Wirklichkeiten von heute
an; und so hat Bonn sich nie den französischen
Plänen widersetzt, die politische Gemeinschaft in der föderativen
Form zu bilden, die auch eine Konföderation genannt werden kann.
Die Staatsrechtler werden streiten, ob der Begriff des Staatenbundes zutreffen
kann. Die Politiker können meinen, man betrete erst den Weg zu ihm
in der vorgesehenen und vorgeschlagenen politischen Union. Aber auch die
Bonner Politiker sind bereit, diesen Weg zu gehen. |
Es
wäre fast albern, zu meinen, der Kanzler fürchte in Frankreichs
Vorschlägen den Versuch, eine Hegemonie von Paris in der Europäischen
Union zu schaffen. Niemals hat er sich durch solche Befürchtungen bestimmen
lassen, wie auch andererseits - was die Warner vor französischen Primatsansprüchen
bei uns vergessen - de Gaulle sich nicht durch Warnungen seiner Landsleute
vor einem deutschen Übergewicht bestimmen ließ. Auch in solch
posthumer Art lebt die vergangene deutsch-französische Rivalität
nicht weiter. Aber die Geister scheiden sich, wenn
die politische Föderation etwa die Verzahnung in der wirtschaftlichen
Integration lockern sollte. |
Das
Nebeneinander von wirtschaftlicher Integration und politischer Föderation
wird Bonn billigen. Ein Übergreifen des Föderativen auf das Integrierte
kann es nicht annehmen. Um diesen Grundsatz ging es in den letzten Verhandlungen
der Sachverständigen und in dem Gespräch der beiden Regierungschefs
in Baden-Baden über die politische Union; und im Konkreten schlägt
sich jener Grundsatz in der Forderung und Notwendigkeit säuberlicher
Scheidungen der beiden Bereiche nieder. Die Scheidung bedeutet und bringt
einen Kompromiß. Die eine Seite verzichtet, sicherlich nicht leichten
Herzens, auf den politischen Ausbau der Integration und erkennt den zweiten
Weg zur Einigung Europas an. Die andere Seite erkennt die Parallelität
der beiden Wege an und gesteht zu, daß das Voranschreiten auf dem
neuen Weg keinen Rückschritt auf dem alten Weg bedeuten darf. |
Das
gleiche gilt für die Verzahnung aller Mitgliedstaaten der politischen
Union in der atlantischen Gemeinschaft. Wenn der Kanzler seit Jahren fordert,
daß die Zusammenarbeit in der Nato sich verstärke, kann er
nicht wünschen, daß sie durch eine politische Föderation
in Europa geschwächt werde. Daß manche Gedanken de Gaulles
und Adenauers über die Nato auseinandergehen, wissen nicht nur sie
beide, sondern alle Beteiligten. Dennoch
ist der französische Staatschef bei all seiner Kühle gegenüber
der Nato kein "Antiatlantiker", und ebensowenig stehen er und
Adenauer sich in den Beratungen über die politische Föderation
als "Anti-Europäer" und "Europäer" gegenüber.
Sie finden sich in der Erkenntnis, daß das freie Europa mit seinen
vielen Menschen, mit seiner wirtschaftlichen Kraft, seiner Arbeitsfähigkeit,
seinem Können und Wissen, wenn es sich zusammenfindet, seine Bedeutung
wieder finden wird. Die Europäer von heute sind nicht die Griechen
im alten Römischen Reich, mit denen sie eine verzagte Resignation
oft vergleicht. Europa kann eine Kraft sein; und de Gaulle und Adenauer
wollen, daß es eine Kraft werde. Das "Europa der Vaterländer"
und das "Vaterland Europa" sind zwar zwei Bilder der Einheit
Europas. Aber es sind keine einander ausschließenden Kontraste.
Denn "Vaterland Europa" heißt nicht Verzicht auf das engere
Vaterland, und das Europa der Vaterländer ist kein Verzicht auf Europa.
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