Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

3. Perspektiven
3.5 Thematisierung der Vergangenheit
3.5.3

Aufzeigen des Kontrasts zwischen früher und heute

    Beispiel 3.5.3.1:

Süddeutsche Zeitung, 4.9.1954, S. 12

Stadt und Kreis Freising
Monsieur Lecompte frischt Erinnerungen auf
Ehemalige französische Kriegsgefangene besuchen die Moosburger Neustadt

 

MOOSBURG – Der Optiker Jean Guillemine aus Morez und der Bankangestellte Charles Lecompte aus Bar-le-Duc schliefen eine Nacht im Moosburger Lager. Sie träumten dabei von einer Zeit, die bereits neun Jahre zurückliegt, als sie in den gleichen Baracken der Drei-Rosen-Stadt gelebt hatten. Damals trugen sie auf ihren französischen Soldatenmontouren das "Kgf" der Kriegsgefangenen, und dieses Barackenlager nannte sich "Stalag VII A". Heute heißt es Moosburger Neustadt.

Guillemine und Lecompte waren mit einer Gruppe ehemaliger Kriegsgefangener aus Frankreich nach Moosburg gekommen, um sich die Stätte ihrer Gefangenschaft wieder einmal anzusehen. Gilbert Lasson aus Maretz-Nord hatte sogar seine Frau Susanne mitgebracht. Die Gäste wurden in den Moosburger Mauern von dem Vorsitzenden des Heimkehrerverbandes Hans Mitz, der drei Jahre als Kriegsgefangener in Frankreich zugebracht hatte, herzlich willkommen geheißen. Bei der Begrüßung zeigten sich für ihn die als "Prisonnier de guerre" erworbenen Sprachkenntnisse als außerordentlich nützlich. Eifrig unterstützte ihn jedoch der Lehrer Michael Seidl, der sein Französisch vor rund 10 Jahren als Besatzungssoldat in Frankreich aufgefrischt hatte. Angeführt wurde die kleine Gästegruppe von dem 44jährigen Abbé Pierre Pernot aus Orleans, der vor einigen Jahren die Bewegung der Brüderlichkeit "Omnes Fratres" gegründet hatte und auch die Besuche ehemaliger Kriegsgefangener in Deutschland organisiert. "Dies ist mein vierter Besuch in Moosburg", erzählt der Priester. Er vergißt aber, daß es eigentlich schon der fünfte ist, denn Pierre saß während des Krieges zwei Jahre lang in der Priesterbaracke Nr. 19 des Stalag VII A.
"Serr gut", meint Jean Guillemine zu der Leberknödelsuppe, die der Moosburger Heimkehrerverband den Gästen beim ersten Mittagessen in der Drei-Rosen-Stadt aufgetischt. Anschließend wurde die Neustadt besichtigt. "Der Eingang sieht noch genauso wie während des Krieges aus", bemerkt Gilbert Lasson, als er, diesmal in saloppem Zivil in die Lagerstraße einbiegt. In den Baracken sieht es jedoch ganz anders aus. Dort rasseln jetzt Schuhmaschinen, Webstühle und Klöppelmaschinen. "Dies war meine Villa", schmunzelt Abbé Pernot, als man am Ende des Lagers ankommt. In der ehemaligen Priesterbaracke - jetzt trägt sie die Hausnummer Lindenstraße 51 - wohnt heute die Familie Bareuther. Sie läßt die Besucher aus Frankreich gerne in ihre Wohnung ein und zeigt ihnen, wie hoch das Wasser in den Zimmern stand, als bei Moosburg der Amperdamm gebrochen war. Abbé Pernot erläutert dafür, wie hoch die mehrstöckigen Betten waren, die einst das Bild der Unterkünfte im Stalag VII A bestimmten.

Für die Kosten der Bewirtung in Moosburg kam der Heimkehrerverband auf. Lange tauschten die ehemaligen Kriegsgefangenen von hüben und drüben ihre Erfahrungen und Erlebnisse aus. "Ich hoffe nur, daß es für unsere Kinder keine Kriegsgefangenschaft mehr gibt", meinte Gilbert Lasson. Abbé Pernot, der wie seine Kameraden über den Besuch in Deutschland sehr glücklich war, fügte hinzu: "Wir sind doch alle Brüder".

tom

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