Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

4. Positionierung des Autors
4.3 Kommentar, Bewertung
4.3.6 Positive Bewertung der Integration von Minderheiten
    Beispiel 4.3.6.2:

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.11.1963, S. 3

Fast alle 900 000 Algerienflüchtlinge eingegliedert
Nur 4500 Arbeitslose / Erfolg der französischen Verwaltung und der Heimkehrer

 

Bericht unseres Pariser Korrespondenten

 

haw. PARIS, 15. November. Mit Genugtuung haben die Franzosen eine Feststellung des Ministerrats aufgenommen, daß das Problem der Eingliederung der Algerienflüchtlinge in die Bevölkerung des Mutterlandes praktisch gelöst ist. Nur noch 4555 von den fast 900 000 aus Algerien geflohenen Franzosen konnten noch keinen Arbeitsplatz finden. Das Flüchtlingsministerium, das unter der Leitung von François Misoffe die Eingliederung der Heimkehrer mit Energie und Taktgefühl gemeistert hat, wird sich in Kürze selbst überflüssig gemacht haben und aufgelöst werden.

Hinter den dramatischen OAS-Prozessen, die die blutige Endphase der Entkolonialisierung in Algerien in ihren traurigsten Aspekten abschließen, hatte die Welt zu leicht vergessen, daß die überwältigende Mehrheit der Algerien-Franzosen, deren Verfahren [muss wahrscheinlich "Vorfahren" heißen, Anmerkung S.J] das französische Algerien mit Wagemut und Tatkraft erschlossen hatten, aus arbeitsamen und tüchtigen Menschen bestand, die an ihrer nordafrikanischen Wahlheimat mit der gleichen Liebe hingen wie die Franzosen des Mutterlandes an ihrer Erde. Daß die Heimkehrer sich in der neuen Heimat so schnell zurechtgefunden und häufig sogar eine günstige Position errungen haben, zeigt, daß sich die Tatkraft der ersten Pioniere nicht verloren hat.
Die Algerien-Franzosen bilden keine verbitterten und isolierten Gruppen im Mutterland. Sie haben Kontakt zu den alteingesessenen Bürgern gefunden. Das ist ebenso der geschickten Steuerung der Flüchtlingsverteilung durch die Regierung zu danken wie dem Realismus und der Opferbereitschaft der Algerien-Franzosen selbst, die den neuen Anfang unter oft recht ungünstigen Bedingungen finden mußten. Sie denken mit Trauer an das französische Algerien zurück, aber sie haben trotzdem in ihrer Mehrheit der Verlockung zum politischen Radikalismus abgesagt und ihre Kraft der Arbeit für ihre Familien zugewandt.

Die wirtschaftliche Expansion in Frankreich und der Mangel an Arbeitskräften haben die Eingliederung erleichtert. Nur bei der endgültigen Wohnungsbeschaffung sind noch größere Schwierigkeiten zu überwinden. Die Heimkehrer haben in viele abgeschnittene Gegenden Frankreichs frisches Blut gebracht und sind damit für das Mutterland statt der ursprünglich befürchteten Belastung ein Kapital geworden.

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