Die
Welt, 2.4.2001, S.8
Es wird eng für
Despoten
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VON
HERBERT KREMP |
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Für
Despoten, die sich schwere Verbrechen gegen das eigene oder gegen fremde
Völker zu Schulden kommen ließen, wird die Erde zum ungemütlichen
Aufenthaltsort. Das Gleiche gilt für Terroristen und Übeltäter
anderer Art: Sie werden erwischt. Das Netz der Investigation zieht sich
elektronisch und dank biologischer Fahndungsmethoden zusammen. Geheimdienste
und Greifkommandos finden leichter Zugang als früher. Der erste große
Fall war die Festnahme Eichmanns im Mai 1960 in Buenos Aires durch ein
israelisches Kommando. Der lange gesuchte Terrorist "Carlos"
ging den Franzosen im August 1994 im Sudan in die Falle, Pinochet wurde
im Oktober 1998 in London festgesetzt, der türkische Guerilla-Führer
Öcalan im Februar 1999 in Nairobi.
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Und
nun Milosevic: Die Sache ist hochpolitisch und überaus kompliziert.
Der Diktator hat als Präsident Serbiens, später der Bundesrepublik
Jugoslawien vier Kriege verursacht und verloren. Sein Versuch, Slowenien,
Kroatien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo mit militärischer Gewalt
in ein Groß-Jugoslawien zu zwingen, fällt nur bedingt, was die
Formen des Kampfes und der Unterdrückung betrifft, in die Kategorie
des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Noch sind nicht alle Gründe
für die Millionenflucht der Kosovaren aufgeklärt. Die Schuldabwägung
verlangt eine genaue Untersuchung des Hergangs und eindeutige Beweise. Zunächst
ermittelt die serbische Regierung wegen Amtsmissbrauchs und Korruption.
Sie steuert das Ziel in Etappen an. |
Die
Festnahme Milosevics geschah auf amerikanischen Druck. Washington dachte
dabei weniger an den Balkan als an den Nahen Osten, an Saddam Hussein. Sie
soll zum Symbol dafür werden, dass der Arm des Rechts lang ist, stark,
auch für Missetäter beunruhigend, die noch in ihren Festungen
sitzen. Ein Schachzug also im psychologischen Krieg. Nun fehlt noch die
Ergreifung von Karadzic und General Mladic, die während des Bosnien-Kriegs
im Dienst der serbischen Sache schwere Verbrechen auf sich geladen haben.
Sie sind im Einzelnen wohl leichter nachzuweisen als die Taten ihres Führers
und Anstifters. |
Zwei
Faktoren erschweren das Verfahren vor dem Haager Gericht: Milosevic war
über Jahre der Verhandlungspartner westlicher Mächte und damit
anerkannter Sprecher seines Landes. Das Abkommen von Dayton und die abschließende
Legitimierung der Nato-Operation im Kosovo durch die UN kamen unter seiner
Präsenz zu Stande. Man behandelte ihn nicht als "Verbrecher",
sondern als Staatsoberhaupt, ließ sich mit ihm ein, konnte ihn - trotz
78 Tagen Bombardements - dem doktrinären Verfahren der "unconditional
surrender" unterwerfen, wie es die Kriegsalliierten im Kampf gegen
Hitler taten und wie es später in den Nürnberger Prozessen juristischen
Ausdruck fand. |
Die
zweite Erschwernis besteht in der Rücksichtnahme auf die politische
Konsolidierung Serbiens. Kostunica löste den Diktator Milosevic in
einer ordentlichen Wahl ab. Zum Bürgerkrieg kam es zum Glück nicht.
Milosevic wich der Entscheidung, blieb Vorsitzender seiner Partei, ließ
sich ohne Widerstand isolieren. Man behandelte ihn als eine Art Staatsgefangenen,
um die in allen Institutionen der neuen Regierung und in der Armee hausenden
Anhänger nicht zu provozieren. Das Regime sollte "verrauchen".
Mit guten Gründen beansprucht das neue Serbien Rechtssouveränität.
Daher weigert sich der Präsident, das Verfahren gegen den Diktator
aus der Hand zu geben. |
Diese
Haltung verdient volles Verständnis. Chile verfährt
mit Pinochet nicht anders. Argentinien verhandelte die Rechtsbrüche
der Junta im eigenen Lande, auch Kambodscha sucht bei der Ahndung der Pol-Pot-Verbrechen
die nationale Rechtslösung. Sollten sich Russland und eines fernen
Tages sogar China dazu durchringen, Verbrechen des sowjetischen und des
maoistischen Regimes zu verfolgen, so wird das nur geschehen, wenn die internationale
Justiz ausgeschlossen bleibt. |
"Weltgerichten"
wohnt die Eigenart von Tribunalen inne. Sie neigen dazu, Völkergericht
über Völker zu halten, zu entmündigen, neue Ressentiments
zu begründen. Es ist gut, dass dem politischen Verbrecher heute der
"Seeräuberhafen", das billige Asyl, versperrt wird. Rechtspädagogisch
ist es besser, wenn ihn das Urteil derjenigen trifft, zu denen er gehört.
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