Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

1. Themenauswahl
1.2Thema Deeskalation/Konfliktlösung
1.2.9Vermittlerrolle einer Drittpartei
  Beispiel 1.2.9.2:

Süddeutsche Zeitung, 15.3.2002, S. 11

Einigung unter Vermittlung der EU
Aus Jugoslawien wird Serbien-Montenegro
Abkommen zwischen den Teilrepubliken soll ein Auseinanderbrechen des Balkanstaates verhindern
 
Von Bernhard Küppers
 

Belgrad - Unter Vermittlung der EU haben Belgrad und Montenegro ein Abkommen unterzeichnet, das Jugoslawien unter anderem Namen und mit veränderter Verfassung als staatliche Gemeinschaft bewahren soll. Ein Volksentscheid über die Unabhängigkeit Montenegros wird damit auf mindestens drei Jahre vertagt. Die Bundesrepublik Jugoslawien heißt künftig "Serbien-Monetenegro (Srbija i Crna Gora). Bei internationalen Organisationen wechseln sich beide Teilrepubliken mit einem gemeinsamen Vertreter ab. Eine Harmonisierung der Wirtschaftssysteme mit derzeit verschiedenen Währungen und Zöllen soll auf dem Weg in die Europäische Union folgen.

Das Abkommen wurde am Donnerstag in Belgrad von EU-Chefdiplomat Javier Solana (Foto Mitte), dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica (rechts), seinem Vize-Ministerpräsidenten Miroljub Labus, dem serbischen Regierungschef Zoran Djindjic, dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic (links) und seinem Regierungschef Filip Vujanovic unterzeichnet. Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen. Das Abkommen soll bis Jahresmitte in eine "Verfassungscharta" umgesetzt werden, der laut Kostunica im Herbst Wahlen folgen sollen. Der bisher direkt gewählte Präsident werde künftig vom Parlament bestimmt und einem von ihm benannten Ministerrat vorsitzen.
"Es handelt sich weder um eine lose Föderation noch um eine Konföderation, sondern um eine neue, originelle Lösung", sagte Kostunica. Djukanovic betonte, Montenegro sei das Recht unbenommen, "nach einer gewissen Zeit" die Vereinbarung zu überprüfen. Djindjic sprach die Erwartung aus, dass die Wirtschaftssysteme Serbiens und Montenegros innerhalb eines Jahres angeglichen würden. Er bezog sich dabei auf die Zusicherung der EU, dass die Verfassungsordnung den Weg Serbiens in die EU nicht behindern dürfe. Der Belgrader Machthaber Slobodan Milosevic hatte den Rumpfstaat aus Serbien und Montenegro 1992 gegründet. Djukanovic hatte seine kleinere Teilrepublik jedoch seit 1997 von Belgrad abgekoppelt und nach dem Sturz Milosevics die Unabhängigkeit offen zum Ziel erklärt.
Serbien-Montenegro soll ein gemeinsames Parlament erhalten. Dabei soll die kleinere Republik mit 650000 Einwohnern davor geschützt werden, von den acht Millionen Serben überstimmt zu werden. Für die Armee ist ein oberster Verteidigungsrat vorgesehen, in dem die drei Präsidenten per Konsens entscheiden. Den Wehrdienst können die Rekruten in ihrer Republik ableisten. Für den Ministerrat sind die Ressorts Außenpolitik, Verteidigung, Außen- und Binnenwirtschaft sowie Menschen- und Minderheitenrechte vorgesehen.

Auch nach der Unterzeichnung gab es kritische Stimmen aus den Reihen des in Belgrad regierenden Parteienbundes DOS. Der serbische Justizminister und Christdemokrat Vladan Batic sagte, vereinbart sei weniger als eine Konföderation. Das bestätige nur, dass es höchste Zeit für ein unabhängiges Serbien sei. Der Parlamentspräsident der Vojvodina, Nenad Canak, sprach von einem faulen Kompromiss, an dem die Provinz nicht beteiligt worden sei. Die für die Unabhängigkeit eintretenden montenegrinischen Liberalen empfingen Djukanovic mit Vorwürfen des Verrats. (Seite 4)

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