Tageszeitung, 10.10.2000,
S.10 SERBIENS
SOZIALISTISCHE REGIERUNG ZURÜCKGETRETEN Schritte des
Wandels |
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Noch
während Beobachter und Medien über Slobodan Milosevic künftige
Rolle in der Politik, seine Auslieferung nach Den Haag und die Probleme von Präsident
Vojislav Kotunica bei der Neubildung einer Bundesregierung sinnieren, werden
in Belgrad schon wieder neue Fakten geschaffen. Die serbische Regierung aus Vertretern
der Sozialistischen Partei von Miloðevic, der Jugoslawischen Linken und Seseljs
Radikalen ist zurückgetreten. Neuwahlen zur serbischen Volksvertretung sollen
bereits Mitte Dezember stattfinden. Auch Jugoslawiens Ministerpräsident und
Statthalter von Miloevic, Momir Bulatic, räumt panikartig seinen Chefsessel.
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Damit
sind nach dem Verlust der Präsidentschaft innerhalb nur weniger Tage die
nächsten Machtbastionen der alten Garde erschüttert und die Möglichkeit
eröffnet, endlich auch einen tiefgreifenden Wandel innerhalb dieser Institutionen
einzuleiten. |
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Aus
der Sicht der Opposition ist diese Entwicklung nur folgerichtig und die einzig
mögliche Variante überhaupt, um den Prozess der Demokratisierung unumkehrbar
zu machen. Kotunica, dessen Posten laut der geltenden Verfassung vor allem
mit repräsentativen Vollmachten ausgestattet ist, weiß, dass er keine
Zeit verlieren darf. Zu groß ist die Anzahl der zu lösenden Fragen,
sei es nun das Verhältnis zur Teilrepublik Montenegro und zum Kosovo oder
die Besetzung von Schlüsselposten in der Bundesregierung, in Armee und Polizei.
Nicht zuletzt steht Kotunica unter einem wachsenden Erwartungsdruck der
Bevölkerung, die den Wandel ja erst ermöglichte. |
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Deshalb
muss es jetzt vor allem darum gehen, keine lange Pause entstehen zu lassen, sondern
stattdessen den Schwung und die Euphorie der Opposition samt ihrer Anhängerschaft
auszunutzen. Und dies umso mehr, als die Opposition, entgegen früheren Erfahrungen,
bis jetzt geschlossen an einem Strang zieht. Hinzu kommt noch, dass ein endgültiger
Rückzug von Miloevic und seiner Getreuen, die immer noch wichtige Ämter
innehaben, immer noch nicht beschlossene Sache ist, auch wenn dies immer wahrscheinlicher
wird. |
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Überdies
steht Kotunica bei der internationalen Staatengemeinschaft in der
Pflicht, die gestern mit der Aufhebung der EU-Sanktionen deutlich machte,
dass sie Kotunica unterstützt und bereit ist, ihm einen Vertrauensvorschuss
einzuräumen. Dass die Verantwortlichen in Brüssel dabei aufs
Gaspedal drücken, ist nur zu begrüßen. Denn sonst
könnte der Westen bald selbst von den Ereignissen in Jugoslawien
überholt werden. Kotunica und Co. haben gestern jedenfalls
erneut bewiesen, dass sie es ernst meinen.
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BARBARA OERTEL |