Die
Welt, 15.3.2002, S. 7 Jugoslawien
ist tot, es lebe "Serbien und Montenegro" |
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VON
BORIS KALNOKY |
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Budapest
- Die am längsten prophezeite Krise des Balkan findet vermutlich nicht statt.
Seit mindestens drei Jahren stand die Abspaltung Montenegros von Serbien mehr
oder minder "unmittelbar bevor"; nun haben sich die beiden Teilrepubliken
Jugoslawiens stattdessen auf einen neuen, gemeinsamen Staat geeinigt. Ein Staat
auf Zeit - in drei Jahren dürfen sich beide noch einmal überlegen, ob
sie nicht doch unabhängig sein wollen.
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Die
Einigung kam nach wochenlangen Verhandlungen zu Stande, in denen der EU-Außenpolitikkoordinator
Javier Solana eine herausragende Rolle spielte. Am Ende stand eine
Konstruktion, die es allen Seiten ermöglichen soll, das Gesicht zu
wahren, und die eine endgültige Lösung - wie so oft auf dem Balkan
- auf die lange Bank schiebt. Ein Staat auf Probe entsteht, dessen Fortbestehen
erst nach drei Jahren entschieden wird. Sein Name: "Bundesstaat von
Serbien und Montenegro". Nicht sehr hübsch, aber hier geht es
auch nicht um Schönheit, sondern ums nackte Überleben eines solchen
Staates. |
"Die
Gründung des Staates ist ein wichtiger Schritt für die Stabilität
Europas" Javier Solana |
Die
labyrinthischen Strukturen des jugoslawischen Bundesstaats à la Milosevic
verschwinden. Statt eines Zweikammernparlamentes, in dem niemand entscheiden kann,
wird es nun eine Kammer geben, die den Staatspräsidenten wählt. Der
wiederum bestimmt die Regierung. Auf diese Weise bleibt die Bundesregierung ohne
direkte Legitimierung durch das Volk und wird somit schwach sein. Ein gemeinsames
Oberes Gericht wird es geben, aber keine gemeinsame Währung. Montenegro behält
den Euro, Serbien den Dinar, der noch im Frühling frei konvertibel werden
soll. Der Einsatz der gemeinsamen Armee kann nur im Konsens entschieden werden. |
Der
entscheidende Punkt ist eine Klausel, der zufolge beide Partner nach drei Jahren
entscheiden können, sich dennoch zu trennen. In diesem Fall wird Serbien
der Rechtsnachfolger Jugoslawiens. Mit dieser Klausel wird eine verwirrende rechtliche
Situation aufgelöst: Bislang sah die montenegrinische Verfassung das Recht
auf Abspaltung per Referendum vor, die serbischen und jugoslawischen Verfassungen
jedoch nicht. |
Selbst
wenn es zu einem Referendum kommen sollte, ist eine Abspaltung Montenegros nunmehr
unwahrscheinlich. In keinem Wahlgang hat es dafür bislang eine überzeugende
Mehrheit gegeben, und die knappen rechnerischen Mehrheiten für die Selbständigkeit
kamen nur dank der albanischen und moslemischen Minderheiten zu Stande.
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