Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

2. Konfliktkontext und Konfliktparteien
2.2 Darstellung der Akteure und ihrer Handlungen
2.2.18 Kritik am rechtswidrigen Vorgehen politischer Mächte
    Beispiel 2.2.18.1:

Süddeutsche Zeitung, 3.7.2001, S.4

Das Recht des Stärkeren

 
VON STEFAN KORNELIUS
 
Wenn Slobodan Milosevic an diesem Dienstag vor seinen Richter tritt, dann mag die Schar der Völkerrechtler und Menschenrechtsadvokaten noch so sehr den Triumph internationaler Konventionen und Rechtsnormen über das Böse bejubeln. In Wahrheit aber hat sich in den vergangenen Tagen ein simples Machtbeben entfaltet, in dem die Schwachen von den Starken sortiert wurden, ein Beben, das seine Ausläufer sowohl in die jugoslawische Föderation als auch in die Völkergemeinschaft hinein sendet.
Dieses Beben hat die jugoslawische Bundesregierung erschüttert und könnte mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit das Staatsgebäude Jugoslawien zum Einsturz bringen. Aber auch in der Gruppe der Sieger, vor allem bei den westlichen Finanziers der Verhaftung Milosevics, sind die Schockwellen in den Kanzleien und Amtsstuben zu spüren. Dort muss man sich die Frage stellen, ob dieses wackelige Völkerrechts-Gebäude stark genug sein wird, um all die nun geweckten Begehrlichkeiten und Klagemöglichkeiten gegen Potentaten, Diktatoren, ja auch ganz legitim gewählte Politiker zu tragen. Milosevic ist der berühmte 80-Pfund-Gorilla, der die Tragfähigkeit testen wird.
Seine Verhaftung hat nämlich ein krasses Defizit im völkerrechtlichen Konstrukt deutlich werden lassen. Getrieben wurde die Verhaftung vor allem von machttaktischen Interessen. Begründet wurde sie aber legalistisch. Daraus erwächst nun eine Erwartung über den Umgang mit anderen Potentaten, die nicht erfüllt werden kann. Und daraus ergibt sich auch ein Problem, weil die internationale Strafverfolgung an der Schnittstelle zwischen Verbrechen und Politik nicht ausgereift ist, um universell und fair zu wirken und damit Missbrauch vorzubeugen. Warum sollte ein serbischer Kosovare nicht Bundeskanzler Gerhard Schröder anklagen können, weil Nato-Kampfflugzeuge mit deutscher Hilfe und ohne UN-Mandat sein Haus bombardiert haben? Warum soll der frühere US- Senator Bob Kerrey nicht vor einen internationalen Strafgerichtshof gebracht werden, weil er in Vietnam womöglich gegen das Kriegsvölkerrecht verstieß.
Deshalb ist es wichtig festzuhalten: Der Weg zur Verhaftung Milosevics war vor allem interessengeleitet und politisch motiviert. Der Rückhalt für den Despoten in der serbischen Bevölkerung war so schwach geworden, dass die Regierung Djindjic die Auslieferung riskieren konnte, ohne revolutionsartige Proteste befürchten zu müssen. Jugoslawiens Präsident Kostunica fügte sich sehenden Auges, seiner eigenen Schwäche wohl gewahr. Im Ringen um die Macht in Belgrad hatte die Figur Milosevic für ihn an Bedeutung verloren. Die Aufgabe des Diktators wog weniger als der Schaden, der dem Land aus der Verweigerung westlicher Aufbauhilfe entstanden wäre.
In dieser kühlen Abwägung hatte das Völkerrecht keine Bedeutung - die innenpolitischen Rollen in Jugoslawien werden nach wie vor nach dem Gesetz der Stärke verteilt, was die Farce um das Auslieferungsdekret und die Einschaltung des Verfassungsgerichts in Belgrad belegen. Wenn Djindjic derart an einer rechtlich sauberen Abwicklung des Falles Milosevic gelegen hätte, dann hätte er den Institutionen der jugoslawischen Bundesrepublik eine größere Beachtung geschenkt. Djindjic aber konnte den Konflikt riskieren, weil die politische Dynamik in der Republik, der Wunsch nach Teilung, die Apathie der Bevölkerung und die Hoffnung auf materielle Besserung allemal seine Rolle stärkten.
Auch der äußere Druck auf das Land war nicht unbedingt nur vom Gedanken an strafrechtliche Genugtuung vor einem internationalem Gericht beseelt. Vor allem in den USA war das Bedürfnis groß, für die Auszahlung von Aufbauhilfe, aber auch den Verbleib der Truppen auf dem Balkan eine Gegenleistung zu erhalten. Milosevics Einlieferungsschein in Haag als Quittung für die Auszahlung von 1,5 Milliarden Dollar - mit dieser Logik lässt es sich leben.
Das Völkerrecht fungierte in diesem Geschäft als willkommenes Vehikel, das den politischen Willen des Westens zu transportieren half. Denn umgekehrt gilt: Wenn der politische Wille fehlt, dann ist es mit der Durchsetzbarkeit des Rechts nicht weit her. Beispiele dafür gibt es nicht erst seit dem LaGrand- Urteil des UN-Gerichtshofs, der kaum Wirkung zeitigen wird. In der vergangenen Woche mussten die USA akzeptieren lernen, dass der Terror-Anschlag auf die Kaserne in Saudi Arabien vor einem US-Gericht ungesühnt bleiben wird - aus politischer Raison. Und eine Etage höher finden sich ausreichend Beispiele mehr oder minder mächtiger Politiker, deren internationale Strafverfolgung rechtlich zwar opportun, politisch aber niemals durchzusetzen sein wird.
Henry Kissinger hat in einem Aufsatz in der Zeitschrift Foreign Affairs wortgewaltig auf die Gefahr einer Vermischung von Recht und Politik im internationalen Geschäft aufmerksam gemacht. Kissinger ist der schlechteste aller Advokaten für eine zurückhaltende Völkerrechtspolitik, weil ihn seine Kritiker selbst vor Gericht bringen wollen wegen seiner politischen Rolle während des Vietnam- und des Kambodscha-Krieges. Gleichwohl bleibt das Problem: Völkerrecht ist immer noch vor allem das Recht der politisch Mächtigen.

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