Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

2. Konfliktkontext und Konfliktparteien
2.2 Darstellung der Akteure und ihrer Handlungen
2.2.3 Junge Generation als Hoffnungsträger
    Beispiel 2.2.3.3:

Südkurier, 26.5.1956, S. 11, "Konstanzer Zeitung"

Internationale Verständigung

 

Wie heutzutage üblich, habe ich es natürlich "furchtbar eilig", als ich meine Uhr von der Reparatur abholen will. Aber ich muß warten, weil eine schwierige Verhandlung im Gange ist. Zwei junge Leute werden bedient, die sich scheinbar nicht einig werden können. Notgedrungen höre ich der Debatte zu. Der Fall fängt an, mich zu interessieren. Der eine der beiden Kauflustigen ist ein großer, schmaler Junge, blond, mit frischem Gesicht. Der andere klein, dunkel, zierlich, mit lebhaften, schwarzen Kohlenaugen, steckt in französischer Uniform. Der Blonde murkst ein paar jämmerliche französische Brocken hervor. Das Deutsch des Anderen ist auch nicht viel besser.

Ich entnehme dem Kauderwelsch, das unter viel Gelächter und Schulterklopfen vor sich geht, daß Jeannot eine deutsche Uhr kaufen möchte, die aber für seinen Geldbeutel zu teuer ist, weshalb "Petähr" ihm zwanzig Mark zusteuern will. Endlich kommt der Kauf zustande. Nun kann ich nicht mehr widerstehen und frage - worüber Jeannot sich unbeschreiblich freut - auf französisch, ob "Petähr" sein Freund sei. Aber ja, sie kennen sich seit einem Jahr! "Mein bester Freund" und dabei glänzen die Kohlenaugen. Woher er stammt? Am Dialekt hatte ich schon längst den Südfranzosen erkannt; aus der Gegend von Perpignan. Neuer Freudenausbruch, als er hört, daß ich das kenne.
Und Peter? Er stammt aus Pommern. Jeannot ist sein liebster Freund. Sie vertragen sich sooo gut. Ich erkläre zweisprachig, daß ich das wunderschön finde. Gewiß sei das schön, aber doch das Natürlichste von der Welt. Sie seien beide 21 Jahre alt und verstehen sich gut, trotz der Sprachschwierigkeiten. Und da nun Jeannot so gerne eine deutsche Uhr haben möchte, schenkt er ihm etwas dazu.
Jeannot verfolgt gespannt das Gespräch. "Mais, oui, madame", sagt er, "Petähr hat die gleichen Ansichten wie ich, und wenn ich mit dem Militär fertig bin, kommt er mit mir nach Perpignan. Er ist vom Lande, wie ich. Alle jungen Leute könnten sich vertragen, wie wir beide", und dann, so fügt er unter Peters (...) [unleserliches Wort, Anm. S.J.] Zustimmung hinzu, gäbe es keinen Krieg mehr!
Es ist doch immer das gleiche: Wenn die Jugend unbefangen zusammentrifft, verträgt sie sich ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Im Stadtgarten kann man immer wieder beobachten, wie Soldaten mit deutschen Kindern sich anfreunden. Die Soldaten sind glücklich, die Kinder meistens stolz. Warum bringt es die Jugend fertig? Spreche ich mit Erwachsenen, so kommen meist die dümmsten Argumente, daß die Soldaten etwa "nicht so stramm" sind (dafür sind sie eben gelockerter, was ja auch keine Schande ist!) oder es gibt, meist von Leuten, die nie in Frankreich waren, gleich Generalurteile über das gesamte Land und seine Bevölkerung. Von Franzosen kann man natürlich die entsprechenden Albernheiten hören.

Die Jugend aber springt unbeschwert über alle Trennungsgräben und gibt sich die Hand. Und Jaqui und Mimi spielen auf dem Stephansplatz mit Karle und Ruthle, und sie sprechen perfekt konstanzerisch!

M.B.

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