Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004
| Die
Welt, 2.4.2001, S.8 Es wird eng für Despoten | ||
| VON HERBERT KREMP | ||
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Und
nun Milosevic: Die Sache ist hochpolitisch und überaus kompliziert. Der Diktator
hat als Präsident Serbiens, später der Bundesrepublik Jugoslawien vier
Kriege verursacht und verloren. Sein Versuch, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina
und das Kosovo mit militärischer Gewalt in ein Groß-Jugoslawien zu
zwingen, fällt nur bedingt, was die Formen des Kampfes und der Unterdrückung
betrifft, in die Kategorie des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Noch sind
nicht alle Gründe für die Millionenflucht der Kosovaren aufgeklärt.
Die Schuldabwägung verlangt eine genaue Untersuchung des Hergangs und eindeutige
Beweise. Zunächst ermittelt die serbische Regierung wegen Amtsmissbrauchs
und Korruption. Sie steuert das Ziel in Etappen an. | ||
Die
Festnahme Milosevics geschah auf amerikanischen Druck. Washington
dachte dabei weniger an den Balkan als an den Nahen Osten, an Saddam Hussein.
Sie soll zum Symbol dafür werden, dass der Arm des Rechts lang ist,
stark, auch für Missetäter beunruhigend, die noch in ihren Festungen
sitzen. Ein Schachzug also im psychologischen Krieg. Nun fehlt noch
die Ergreifung von Karadzic und General Mladic, die während des Bosnien-Kriegs
im Dienst der serbischen Sache schwere Verbrechen auf sich geladen haben.
Sie sind im Einzelnen wohl leichter nachzuweisen als die Taten ihres Führers
und Anstifters. |
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Zwei
Faktoren erschweren das Verfahren vor dem Haager Gericht: Milosevic war über
Jahre der Verhandlungspartner westlicher Mächte und damit anerkannter Sprecher
seines Landes. Das Abkommen von Dayton und die abschließende Legitimierung
der Nato-Operation im Kosovo durch die UN kamen unter seiner Präsenz zu Stande.
Man behandelte ihn nicht als "Verbrecher", sondern als Staatsoberhaupt,
ließ sich mit ihm ein, konnte ihn - trotz 78 Tagen Bombardements - dem doktrinären
Verfahren der "unconditional surrender" unterwerfen, wie es die Kriegsalliierten
im Kampf gegen Hitler taten und wie es später in den Nürnberger Prozessen
juristischen Ausdruck fand. | ||
Die
zweite Erschwernis besteht in der Rücksichtnahme auf die politische Konsolidierung
Serbiens. Kostunica löste den Diktator Milosevic in einer ordentlichen Wahl
ab. Zum Bürgerkrieg kam es zum Glück nicht. Milosevic wich der Entscheidung,
blieb Vorsitzender seiner Partei, ließ sich ohne Widerstand isolieren. Man
behandelte ihn als eine Art Staatsgefangenen, um die in allen Institutionen der
neuen Regierung und in der Armee hausenden Anhänger nicht zu provozieren.
Das Regime sollte "verrauchen". Mit guten Gründen beansprucht das
neue Serbien Rechtssouveränität. Daher weigert sich der Präsident,
das Verfahren gegen den Diktator aus der Hand zu geben. | ||
Diese
Haltung verdient volles Verständnis. Chile verfährt mit Pinochet
nicht anders. Argentinien verhandelte die Rechtsbrüche der Junta im
eigenen Lande, auch Kambodscha sucht bei der Ahndung der Pol-Pot-Verbrechen
die nationale Rechtslösung. Sollten sich Russland und eines fernen
Tages sogar China dazu durchringen, Verbrechen des sowjetischen und des
maoistischen Regimes zu verfolgen, so wird das nur geschehen, wenn die internationale
Justiz ausgeschlossen bleibt. |
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