Süddeutsche
Zeitung, 15.3.2002, S.4 Jugoslawiens
Scheintod |
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VON
BERNHARD KÜPPERS |
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Dem
Königreich Jugoslawien aus der Zeit zwischen den Weltkriegen und dem Vielvölkerstaat
des Kommunisten Tito folgte die Bundesrepublik Jugoslawien unter Milosevic. Sie
war an ihrem Ende nichts weiter als ein Rumpfgebilde, zusammengehalten von taktischen
Interessen des Augenblicks. Die serbische Opposition erbte bei der Machtübernahme
im Belgrader Oktober dieses "dritte Jugoslawien". Tatsächlich war
der Staat damals kaum mehr als eine Fiktion. Milosevic hatte eine leere Hülse
hinterlassen, ausgebrannt und an den Rändern zerfetzt. Lediglich die Präsenz
der jugoslawischen Armee in Montenegro und die formelle Wiedereingliederung Jugoslawiens
in internationale Organisationen erinnerten an einen staatlichen Zusammenhalt.
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Nun
sollen Serbien und Montenegro, die Teilrepubliken dieses Restgebildes, unter anderem
Namen und in einer neuen Konstruktion zusammengespannt bleiben. Der Wahlsieger
über Milosevic, Vojislav Kostunica, nennt das Gebilde "originell".
Der Geburtshelfer dieses Staates, EU-Chefdiplomat Javier Solana, gibt sich indes
zufrieden. Er wird auf dem EU-Gipfel in Barcelona eine nicht ganz unkomplizierte
Errungenschaft europäischer Balkanpolitik vorweisen können: Das politische
Abkommen für die Verfassungscharta eines Serbien-Montenegro. Präsident
Kostunica, Konkurrent des Wende-Organisators und serbischen Regierungschefs Zoran
Djindic, kann sich als Geburtshelfer, als Mann des Aufbruchs und für die
Anhänger eines großen Staatsgebildes als Bewahrer der Einheit präsentieren. |
Bei
den eigentlich Regierenden der Rumpfrepubliken Serbien und Montenegro ist hingegen
wenig Begeisterung zu vernehmen. Djindjics Leute zweifeln vor allem an der wirtschaftlichen
Funktionsfähigkeit des Gebildes. Dem montenegrinischen Präsidenten Milo
Djukanovic steht die Furcht ins Gesicht geschrieben, weil er den vorläufigen
Verzicht auf ein Unabhängigkeitsreferendum zu Hause rechtfertigen muss. Also
pfeifen sie ein wenig im Wald und betonen um so heftiger, dass für das Unternehmen
Staatsgründung in erster Linie die EU die Garantien übernommen habe.
Die Frage ist nun, ob das vierte (Rumpf-)Jugoslawien wenigstens bis zur Anbindung
Serbiens und Montenegros an die EU funktionieren wird. |
Der
EU ging es in erster Linie darum, einen Volksentscheid über die Unabhängigkeit
in Montenegro - auf drei Jahre - abzuwenden. Nicht nur ein Belgrader Jura-Professor,
der an den Verhandlungen als Experte beteiligt war, bekam den Eindruck:
Die Mission Solanas zielte auf den bloßen Erhalt einer staatlichen
Gemeinschaft Serbiens und Montenegros "egal welchen Inhalts".
Ein Volksentscheid in Montenegro, der allenfalls eine knappe Mehrheit
für Unabhängigkeit erwarten ließ, hätte längere
innenpolitische Wirren in den schwarzen Bergen erwarten lassen. Allerdings
kann auch die Entscheidung gegen den Volksentscheid zu inneren Unruhen führen. |
Solana
beförderte das Abkommen mit dem Argument, dass so der gemeinsame Weg
in die europäische Integration leichter falle. Tatsächlich aber
waren es vor allem auch ordnungspolitische Überlegungen der EU mit
Blick auf den gesamten Balkan, die den endgültigen Zerfall Ex-Jugoslawiens
entlang den Grenzen seiner ehemaligen Teilrepubliken aufgehalten haben. |
Erstens:
Kosovo. Das UN-Protektorat ist ein Provisorium, dessen Gebiet formell noch zu
Jugoslawien gehört. Wären nun auch noch Serbien und Montenegro auseinander
gebrochen, hätte das albanische Gelüste auf staatliche Selbständigkeit
des Kosovo oder sogar darüber hinaus in Südserbien und Nordwest-Mazedonien
beflügeln können. Zweitens: Kompensationen. Immer wieder wird die Gefahr
beschworen, dass die Serben einen Ausgleich für verlorene Gebiete verlangen
könnten, indem sie den Anschluss der bosnischen Serbenrepublik verlangen.
Zwar erscheinen weder der Staatswunsch der Albaner noch die Angliederung der bosnischen
Serbenrepublik derzeit wahrscheinlich. Drohen lässt sich allerdings bestens
damit. So lassen sich internationale Entscheidungen über die Zukunft des
Kosovo und der Dayton-Verfassung in Bosnien hinauszögern. |
Der
serbische Regierungschef und Mitunterzeichner Djindjic hat seine innere Distanz
zu dem Abkommen ausgedrückt, indem er die Hauptrolle bei den Verhandlungen
andern überließ. Glücklich kann er nicht sein über ein Staatswesen
mit zwei Währungen und Zolltarifen. In Montenegro sieht sich Djukanovic jetzt
schon des "Verrats" bezichtigt von den Unabhängigkeits-Pionieren,
deren Stimmen er für seine Minderheitsregierung braucht. Belächelt wird
er indes von der projugoslawischen Opposition, die nach Umfragen mehr Anhänger
als seine Regierungskoalition hat. |
Brüssel
muss nicht glücklich werden mit seiner diplomatischen Errungenschaft. Solana
hat den Köder ausgelegt, der auf dem Balkan die meisten Fische garantiert:
Er stellt die Mitgliedschaft in der EU in Aussicht und verlangt die dafür
notwendigen Anpassungen. Die Geschichte der EU-Erweiterung aber zeigt: Damit bürdet
sich die Gemeinschaft auch die Verpflichtung auf, den Aspiranten beim Wandel zu
helfen. "Wir werden nun jeden Tag mit Euch sein", sagte Solana. Es dürfte
anstrengen werden.
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