Frankfurter
Rundschau, 28.06.1946, S. 7
Die Stimme der Frau
Die politisch denkende Frau in Frankreich
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Die
Französin hat sich ihre staatsbürgerlichen Rechte - am 21. Oktober
1945 wählte sie zum ersten Male - im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft.
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Die
Deutschen haben es gerne, Menschen und Völker fein säuberlich
in Kategorien zu schachteln. Viel gibt es wohl auch noch heute, die für
die französische Frau eine solche Kategorie gebrauchsfertig bereithalten.
Sie sagen es zwar nicht immer laut, aber sie denken: "Die Französin?
Nicht ernst zu nehmen, frivol, schminkt sich und ist oberflächlich."
Manch deutscher Soldat aber, der in Frankreich war, hat sein Vorurteil,
von der ganz anderen Wirklichkeit belehrt, abgelegt. Und dabei
waren es meist nicht die wertvollsten Vertreterinnen ihrer Nation, mit
denen der Wehrmachtsangehörige in Berührung kam...
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Die
"Union des Femmes Françaises", die heute nahezu zwei
Millionen Mitglieder hat, ist in der illegalen Kampfzeit Frankreichs geboren
worden. Die Leiterinnen der französischen Frauenbewegung, Yvonne
Dumont, Irène Joilot-Curie, Marie Claude Vaillant-Couturier, um
nur einige Namen zu nennen, haben in der Zeit der deutschen Besetzung
an der Spitze der kämpfenden Frauen gestanden. Danielle Casanova,
eine junge Zahnärztin, die die "Union des Femmes Françaises"
begründet hat, ist am 10. Mai 1943 in Auschwitz an Typhus gestorben.
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Die
französische Frauenunion umfaßt Frauen aller Kreise der Bevölkerung.
Auf ihrem ersten Kongreß, auf dem vom 17. bis 20. Juni 1945 2500
Delegierte teilnahmen, saßen Bäuerinnen neben Textilarbeiterinnen,
bürgerliche Hausfrauen Seite an Seite von Rechtsanwältinnen
und Postbeamtinnen neben jungen Studentinnen.
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Die
Frauen der "Union des Femmes Françaises" sind keine Frauenrechtlerinnen.
Das dumpfe Mißbehagen, das eine Außenstehende oft empfindet,
wenn sie das erstemal an einer englischen oder deutschen Frauensitzung
teilnimmt, die sich in der mehr oder weniger eingestandenen männerfeindlichen
Haltung ausdrückt, ist den Französinnen ganz wesensfremd. Es
geht ihnen darum, ihr Land wiederaufzubauen, ihren Familien normale Lebensbedingungen
zu schaffen, Kindergärten, Krippen, Kantinen einzurichten und im
öffentlichen und politischen Leben ihre Forderungen in die Praxis
umzusetzen.
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Wie
sind nun diese nahezu zwei Millionen Frauen, die sich spontan und unter
keinerlei äußerem Zwang zusammengefunden haben, organisiert?
Die "Union des Femmes Françaises" hat eine Nationalleitung,
der die Provinzialleitungen unterstellt sind. Da von 21 Millionen französischer
Frauen acht Millionen berufstätig sind, haben die Werktätigen
an ihren Arbeitsstätten Betriebsgruppen gebildet, die sich besonders
mit den praktischen und sozialen Betriebsfragen beschäftigen.
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Ich
habe einige Male ein paar Stunden in der Geschäftsstelle einer Stadtteilgruppe
in einem sehr bürgerlichen Pariser Viertel, nicht weit vom "Etoile"
verbracht. Hier kamen zu den täglichen Sprechstunden die Frauen mit
all ihren Sorgen und Kümmernissen, aber ich sah auch Frauen, die
Vorschläge mitbrachten. Die Atmosphäre, die in einer solchen
Stelle herrscht, ist warm und wohltuend. Sie entspricht dem natürlichen
Charakter der Frau. Hier spiegelt sich das Alltagsleben der Mitglieder
der Union wieder, und das Vertrauen, das sich in ihrer spontanen Bereitschaft
ausdrückt, der kameradschaftliche Ton, in dem gesprochen wird, zeigt
besser als graphische Kurven und Statistiken, wie sehr es die "Union
des Femmes Françaises" verstanden hat, ihre Mitglieder nicht
nur zahlenmäßig, sondern auch menschlich zu erfassen.
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Da
ist z. B. die Frage des Kinderwagens. Die Kinderwagen sind in Frankreich
unerschwinglich teuer geworden. Mehr als ein Arbeitermonatsgehalt geht
drauf, wenn sich eine Familie ein solch unentbehrliches Vehikel beschaffen
will. Die "Union des Femmes Françaises" hat es in kurzer
Zeit fertiggebracht, daß ein hübscher einheitlicher Kinderwagen
zu dem für die augenblicklichen französischen Verhältnisse
sehr vernünftigen Preis von 3000 Franken lieferbar ist. Dieser blaulackierte,
nickelglänzende Wagen ist in der Hauptgeschäftsstelle, einem
verwandelten, ehemaligen Prunkladen an den Champs Elysées, ausgestellt,
der einem ehemaligen französischen Nazi gehörte.
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Auf
dem Internationalen Frauenkongress, der im November 1945 in Paris stattgefunden
hat, spielte die "Union des Femmes Françaises" eine entscheidende
Rolle, und zwar nicht nur auf Grund ihrer hohen Mitgliederzahl. Der politische
Weitblick und das entwickelte geistige Niveau der französischen Frauen,
Eigenschaften, die die fünf Kampfjahre so stark zum Ausdruck gebracht
haben, erfüllten die ausländischen Beobachter mit tiefer Bewunderung.
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Ida
Berger
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