Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 2.1.2001, S.4
Verhandlungen
bringen Annäherung von Serben und Albanern
Abbau von Kontrollposten als Anzeichen für Entspannung in Südserbien
/ Entführte Serben freigelassen / Ansätze für eine politische
Lösung / Von Matthias Rüb
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BUDAPEST,
1. Januar. Das könnte von hoher Symbolkraft sein: Serben und Albaner
räumen befestigte Kontrollstellen. So geschehen am Samstag an der
Straße von der südserbischen Stadt Bujanovac nach Veliki Trnovac,
einem fast ausschließlich von Albanern besiedelten Vorort von Bujanovac,
den die Albaner Trnofc i Madhe nennen. Die Kontrollstellen, an denen alle
Fahrzeuge und Personen kontrolliert wurden, befanden sich nur wenige hundert
Meter voneinander entfernt und zudem an einem neuralgischen Punkt. Zwischen
Bujanovac und Trnovac verläuft die Linie, jenseits deren die serbische
Polizei seit mehr als vier Wochen nicht mehr präsent ist. In Sichtweite
standen sich schwerbewaffnete serbische Sonderpolizisten und albanische
Kämpfer gegenüber und richteten drohend ihre Waffen aufeinander.
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Ende
November hatten albanische Bewaffnete in der Gegend vier serbische Polizisten
zuerst verschleppt, dann offenbar gefoltert und schließlich ermordet.
Nach der Bluttat zog sich die serbische Polizei aus Trnovac und einigen
anderen Ortschaften in der fünf Kilometer breiten entmilitarisierten
Pufferzone an der Verwaltungsgrenze zum Kosovo zurück. Die Sicherheitszone,
in der sich die jugoslawische Armee nicht und die serbische Polizei nur
mit leichtbewaffneten Beamten aufhalten darf, war nach dem Ende des Luftkrieges
der Nato um das Kosovo eingerichtet worden, um einen möglichen Aufmarsch
der serbisch-jugoslawischen Streitkräfte und damit eine Gefährdung
der Kfor zu vermeiden. Seit den Morden an den serbischen Polizisten gelten
die Dörfer vielen Albanern in der Region als "befreites Gebiet",
denn es war eine Anfang des Jahres 2000 erstmals aufgetretene albanische
"Befreiungsarmee Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UÇPMB),
die sich zu diesem Anschlag und anderen zuvor bekannt hatte. Für die
serbischen Behörden handelte es sich dabei um Überfälle "albanischer
Terroristen". Das von ihnen besetzte Territorium galt es früher
oder später wieder unter Belgrader Kontrolle zu bringen - notfalls
gewaltsam. |
Zum
Jahresende hin schien sich der Konflikt bedrohlich zuzuspitzen. Die serbische
Polizei und die jugoslawische Armee sprachen von einer unmittelbar bevorstehenden
Großoffensive der UÇPMB. Gleich mehrfach hatte die Regierung
in Belgrad vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefordert, die UN und
die Kfor sollten umgehend für den Rückzug der "albanischen
Terroristen" aus der Sicherheitszone sorgen. Andernfalls werde man
das Problem selbst unter Einsatz aller international gebräuchlichen
Mittel im Kampf gegen den Terrorismus lösen. Einheiten der serbischen
Sonderpolizei und auch der jugoslawischen Armee wurden am Rande der Sicherheitszone
zusammengezogen, Schützengräben wurden ausgehoben und mit mannshoch
aufgetürmten Sandsäcken befestigte Kontrollstellen eingerichtet. |
Daß
nun beide Seiten eine ihrer Kontrollstellen räumten, ist Ergebnis zahlreicher
Gespräche zwischen der serbischen Regierung und Vertretern der Albaner.
Dabei trat die Kfor als Vermittlerin auf. Zuletzt traf sich am Donnerstag
der stellvertretende serbische Ministerpräsident Nebojsa Covic in Trnovac
mit Vertretern des politischen Rates der UÇPMB. Dabei wurde außer
der Räumung der Kontrollstellen auch die Entsendung von serbischen
Verkehrspolizisten statt - wie früher - von schwerbewaffneten Sonderpolizisten
in die mehrheitlich von Albanern besiedelten Gebiete vereinbart. Am Sonntag
reiste der designierte serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic in
die Krisenregion und sagte, Belgrad setze sich für eine friedliche
Lösung des Konflikts ein. Djindjic versprach den 60 000 bis 75 000
in der Region lebenden ethnischen Albanern Gleichberechtigung und Minderheitenrechte,
sofern sie die Gesetze achteten. |
Trotz
der jüngsten Drohgebärden scheint sich in Belgrad die Erkenntnis
durchzusetzen, daß es sich bei dem Konflikt im Presevo-Tal nicht nur
um ein Terrorismusproblem handelt, sondern daß ein Ende der Diskriminierung
der albanischen Minderheit erreicht werden muß. Auch der neue jugoslawische
Präsident Vojislav Kostunica hat sich mehrfach für eine friedliche
Lösung des Konflikts ausgesprochen. |
Tatsächlich
ist schon ein Gesprächsprozeß in Gang gekommen, der Hoffnungen
auf eine politische Lösung des Konflikts nährt. Das war während
der Herrschaft des Diktators Slobodan Milosevic anders: Seinerzeit führte
Belgrad einen Propagandamonolog über die Albaner statt einen Dialog
mit ihnen. Mit dem Abbau der Kontrollstellen von Trnovac wurde auch die
wichtige Verbindungsstraße von Bujanovac nach Gnjilane im Kosovo wieder
frei. Doch am Sonntag waren nahe der Verwaltungsgrenze zum Kosovo sechs
Serben offenbar von Kämpfern der UÇPMB entführt worden.
Erst nach Vermittlungen der Kfor konnte ihre Freilassung erreicht werden,
wie Covic der Belgrader Nachrichtenagentur Beta mitteilte. Die Rebellen
hatten den Angaben zufolge die Freilassung von jeweils 20 Kosovo-Albanern
für einen Verschleppten gefordert. Seit dem Ende des Kosovo-Krieges
im Juni 1999 sitzen noch immer mehrere hundert aus dem Kosovo verschleppte
albanische Männer in serbischen Gefängnissen. |
Wiederum
vermittelt die Kfor in dem Konflikt. Problematisch
ist, daß die politische Führung der UÇPMB offenbar nicht
alle ihre Kämpfer kontrolliert und daß deshalb die serbische
Seite nicht weiß, was Vereinbarungen mit der Gruppierung wert sind.
Einen von Teilen der UÇPMB geforderten Anschluß der albanischen
Gebiete in Südserbien an das benachbarte Kosovo werden weder Belgrad
noch die Staatengemeinschaft akzeptieren. Verhandlungen über die Rechte
der Albaner im Presevo-Tal werden sich deshalb auf Modelle einer kulturellen
und politischen Autonomie beschränken. |
Trotz
einiger Rückschläge scheint der Weg zu einer politischen Lösung
nicht verbaut. Dabei könnte eine verstärkte internationale Präsenz
hilfreich sein - etwa durch Beobachter der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder der EU, wie Nato-Generalsekretär
Lord George Robertson der Führung in Belgrad jüngst vorgeschlagen
hat. Damit wäre der Forderung der Albaner nach internationaler Vermittlung
Genüge getan - und Belgrad könnte Europa einen weiteren Schritt
näher kommen.
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