Süddeutsche
Zeitung, 3.7.2001, S.4
Das
Recht des Stärkeren
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VON
STEFAN KORNELIUS |
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Wenn
Slobodan Milosevic an diesem Dienstag vor seinen Richter tritt, dann mag
die Schar der Völkerrechtler und Menschenrechtsadvokaten
noch so sehr den Triumph internationaler Konventionen und Rechtsnormen über
das Böse bejubeln. In Wahrheit aber hat sich in den vergangenen Tagen
ein simples Machtbeben entfaltet, in dem die Schwachen von den Starken sortiert
wurden, ein Beben, das seine Ausläufer sowohl in die jugoslawische
Föderation als auch in die Völkergemeinschaft hinein sendet. |
Dieses
Beben hat die jugoslawische Bundesregierung erschüttert und könnte
mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit das Staatsgebäude Jugoslawien
zum Einsturz bringen. Aber auch in der Gruppe der Sieger, vor allem bei
den westlichen Finanziers der Verhaftung Milosevics, sind die Schockwellen
in den Kanzleien und Amtsstuben zu spüren. Dort muss man sich die Frage
stellen, ob dieses wackelige Völkerrechts-Gebäude stark genug
sein wird, um all die nun geweckten Begehrlichkeiten und Klagemöglichkeiten
gegen Potentaten, Diktatoren, ja auch ganz legitim gewählte Politiker
zu tragen. Milosevic ist der berühmte 80-Pfund- Gorilla, der die Tragfähigkeit
testen wird. |
Seine
Verhaftung hat nämlich ein krasses Defizit im völkerrechtlichen
Konstrukt deutlich werden lassen. Getrieben wurde die Verhaftung vor allem
von machttaktischen Interessen. Begründet wurde sie aber legalistisch.
Daraus erwächst nun eine Erwartung über den Umgang mit anderen
Potentaten, die nicht erfüllt werden kann. Und daraus ergibt sich auch
ein Problem, weil die internationale Strafverfolgung an der Schnittstelle
zwischen Verbrechen und Politik nicht ausgereift ist, um universell und
fair zu wirken und damit Missbrauch vorzubeugen. Warum sollte ein serbischer
Kosovare nicht Bundeskanzler Gerhard Schröder anklagen können,
weil Nato-Kampfflugzeuge mit deutscher Hilfe und ohne UN-Mandat sein Haus
bombardiert haben? Warum soll der frühere US- Senator Bob Kerrey nicht
vor einen internationalen Strafgerichtshof gebracht werden, weil er in Vietnam
womöglich gegen das Kriegsvölkerrecht verstieß. |
Deshalb
ist es wichtig festzuhalten: Der Weg zur Verhaftung Milosevics war vor allem
interessengeleitet und politisch motiviert. Der Rückhalt für den
Despoten in der serbischen Bevölkerung war so schwach geworden, dass
die Regierung Djindjic die Auslieferung riskieren konnte, ohne revolutionsartige
Proteste befürchten zu müssen. Jugoslawiens Präsident Kostunica
fügte sich sehenden Auges, seiner eigenen Schwäche wohl gewahr.
Im Ringen um die Macht in Belgrad hatte die Figur Milosevic für ihn
an Bedeutung verloren. Die Aufgabe des Diktators wog weniger als der Schaden,
der dem Land aus der Verweigerung westlicher Aufbauhilfe entstanden wäre.
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In
dieser kühlen Abwägung hatte das Völkerrecht keine Bedeutung
- die innenpolitischen Rollen in Jugoslawien werden nach wie vor nach dem
Gesetz der Stärke verteilt, was die Farce um das Auslieferungsdekret
und die Einschaltung des Verfassungsgerichts in Belgrad belegen. Wenn Djindjic
derart an einer rechtlich sauberen Abwicklung des Falles Milosevic gelegen
hätte, dann hätte er den Institutionen der jugoslawischen Bundesrepublik
eine größere Beachtung geschenkt. Djindjic aber konnte den Konflikt
riskieren, weil die politische Dynamik in der Republik, der Wunsch nach
Teilung, die Apathie der Bevölkerung und die Hoffnung auf materielle
Besserung allemal seine Rolle stärkten. |
Auch
der äußere Druck auf das Land war nicht unbedingt nur vom Gedanken
an strafrechtliche Genugtuung vor einem internationalem Gericht beseelt.
Vor allem in den USA war das Bedürfnis groß, für die Auszahlung
von Aufbauhilfe, aber auch den Verbleib der Truppen auf dem Balkan eine
Gegenleistung zu erhalten. Milosevics Einlieferungsschein in Haag als Quittung
für die Auszahlung von 1,5 Milliarden Dollar - mit dieser Logik lässt
es sich leben. |
Das
Völkerrecht fungierte in diesem Geschäft als willkommenes Vehikel,
das den politischen Willen des Westens zu transportieren half. Denn umgekehrt
gilt: Wenn der politische Wille fehlt, dann ist es mit der Durchsetzbarkeit
des Rechts nicht weit her. Beispiele dafür gibt es nicht erst seit
dem LaGrand- Urteil des UN-Gerichtshofs, der kaum Wirkung zeitigen wird.
In der vergangenen Woche mussten die USA akzeptieren lernen, dass der Terror-Anschlag
auf die Kaserne in Saudi Arabien vor einem US-Gericht ungesühnt bleiben
wird - aus politischer Raison. Und eine Etage höher finden sich ausreichend
Beispiele mehr oder minder mächtiger Politiker, deren internationale
Strafverfolgung rechtlich zwar opportun, politisch aber niemals durchzusetzen
sein wird. |
Henry
Kissinger hat in einem Aufsatz in der Zeitschrift Foreign Affairs wortgewaltig
auf die Gefahr einer Vermischung von Recht und Politik im internationalen
Geschäft aufmerksam gemacht. Kissinger ist der schlechteste aller Advokaten
für eine zurückhaltende Völkerrechtspolitik, weil ihn seine
Kritiker selbst vor Gericht bringen wollen wegen seiner politischen Rolle
während des Vietnam- und des Kambodscha-Krieges. Gleichwohl bleibt
das Problem: Völkerrecht ist immer noch vor allem das Recht der politisch
Mächtigen. |