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4. |
Positionierung
des Autors |
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4.2 |
Nationale
Eigenperspektive des Journalisten bzw. Mediums
wenn der
Journalist einer direkt am Konflikt beteiligten Partei angehört |
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4.2.6 |
Anerkennung der
eigenen Verantwortung und dessen, was die eigene Seite an Leid verursacht
hat
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Beispiel
4.2.6.1: In
den deutschen Nachkriegstexten findet man immer wieder solch allgemeine
Formulierungen (wie z.B. "alles, was während des Krieges in Frankreich
geschah"), die nur vage eine deutsche Verantwortung für französisches
Leid andeuten. Dennoch wird der Autor im Laufe des Artikels recht konkret
hinsichtlich der Anklagen, die Abetz, aber auch der deutschen Besatzung,
zur Last gelegt werden, und mehr als einmal gibt er diese Handlungen nicht
mehr nur im Konjunktiv der indirekten Rede von Zeugen und Anklägern,
sondern im Indikativ, also als seiner Meinung nach tatsächlich geschehen,
wieder. [Anm. S.J.] |
Frankfurter
Rundschau, 23.7.1949, S. 16
Der Prozeß gegen
Otto Abetz
Drahtbericht unseres Frankreich-Korrespondenten Kurt
Kornicker
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PARIS,
22. Juli. Der Prozeß gegen Otto A b e t z, den ehemaligen Botschafter
Hitler-Deutschlands in Paris zur Zeit der deutschen Besetzung, der sich
seit anderthalb Wochen vor einem französischen Militärgericht
im Pariser Justizpalast abspielt, wird von der hiesigen Oeffentlichkeit
mit außerordentlicher Spannung verfolgt. Die Pariser Zeitungen widmen
den Prozeßberichten einen weiten Raum. Einige Blätter, wie
der "Figaro" und "L´Aurore" haben sogar regelmäßig
seitenlange Auszüge aus dem stenographischen Protokoll veröffentlicht.
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Die
französische Justiz hat, trotz allem, was während des Krieges
in Frankreich geschah und noch nicht vergessen, ist, alles Erdenkliche getan,
um dem Angeklagten jede Verteidigungsmöglichkeit zu geben und vom ersten
Tage an abstrahiert, daß hier auf der Anklagebank ein Deutscher, ein
ehemaliger Gegner sitzt. |
In
dem Prozeß Abetz gab es drei Höhepunkte: die Anklagerede Paul
R e y n a u d s, der Abetz des Mordversuches an ihm selbst und Léon
B l u m bezichtigte und ihn bis zu einem gewissen Grade für das Ende
des früheren französischen Innenministers Georges M a n d e l
verantwortlich machte, ferner die Aussage eines anderen Zeugen, Maurice
N è g r e, eines einflußreichen Mitgliedes der französischen
Widerstandsbewegung, der als Geisel verhaftet wurde
und dessen Hinrichtung Abetz gefordert hatte. Nègre erklärte,
daß er trotzdem keinerlei Rachegefühl gegen Abetz hege. Er und
seine Freunde hätten sich gegen Abetz gewehrt. Sie hätten das
Pech gehabt, ihm in die Hände zu fallen und das sei alles, was er zu
diesem Thema zu sagen habe. |
Besondere
Erwähnung verdient schließlich die Zeugenaussage des Generals
von C h o l t i t z, des einstigen Militärbefehlshabers von Groß-Paris,
der im August 1944 den Befehl erhielt, das bereits an vielen Stellen unterminierte
Paris in die Luft zu sprengen und dessen Widerstand gegen den Befehl zu
verdanken ist, daß Paris heute kein Ruinenmeer, sondern eine der schönsten
und besterhaltenen Großstädte Europas ist. Choltitz erklärte,
daß ihm Abetz dabei geholfen habe, und daß er seinerzeit in
entscheidender Stunde gegen die Nichtausführung des Befehls keinen
Einspruch erhoben habe |
Der
Anklagevertreter F l i c o t e a u x betonte, daß Abetz für eine
ganze Reihe von Kriegsverbrechen, die in Frankreich während seiner
Botschafterzeit begangen wurden, in vollem Umfang verantwortlich zu machen
sei: 1. für die systematische Plünderung von Kunstschätzen,
2. für die Judenverfolgungen und Deportationen, 3. für die zwangsweise
Verschleppung französischer Arbeiter nach Deutschland, besonders in
der Zeit vom Mai bis November 1942 und 4. für die Deportation einer
Anzahl französischer Generäle, Präfekten und hoher Verwaltungsbeamter.
Außerdem müsse er für eine Reihe vorbereitender Handlungen
verantwortlich gemacht werden, die zur Verhaftung und schließlich
zu der Ermordung von Georges Mandel geführt hätten. Der Anklagevertreter
betonte, daß Abetz nicht in seiner Eigenschaft als Deutscher, sondern
als Kriegsverbrecher vor dem Militärgericht stehe und nur als solcher
verurteilt werden dürfte. Er beantragte mit Rücksicht auf gewisse
mildernde Umstände die Mindeststrafe von 20 Jahren Zwangsarbeit. |
Der
Verteidiger von Abetz, Floriot, erklärte in einer längeren Rede,
daß Abetz auch unter den schwierigsten Verhältnissen aufrichtig
für eine deutsch-französische Verständigung gearbeitet habe.
Er habe sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht und oft gegen die
Anweisungen seiner vorgesetzten Behörde gehandelt. Der Verteidiger
betonte vor allem, daß die Gestapo ihre Schreckensherrschaft in Frankreich
völlig selbständig und unabhängig von der deutschen Botschaft
durchgeführt habe. Der Verteidiger gab seinem Bedauern darüber
Ausdruck, daß das Gericht nur über einen verhältnismäßig
kleinen Teil der Akten und einen winzigen Ausschnitt aus dem Telegrammwechsel
verfüge, der zwischen Abetz und R i b b e n t r o p geführt wurde.
Er plädierte auf Freispruch. |