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4. |
Positionierung
des Autors |
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4.2 |
Nationale
Eigenperspektive des Journalisten bzw. Mediums
wenn der
Journalist einer direkt am Konflikt beteiligten Partei angehört |
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4.2.6 |
Anerkennung der
eigenen Verantwortung und dessen, was die eigene Seite an Leid verursacht
hat
Destruktives
Gegenstück: Pauschale,
ausufernde Selbstanklagen, die verhindern, sich mit konkreter Verantwortung
auseinanderzusetzen oder Bagatellisierung / Trivialisierung / Entpolitisierung
von Krieg
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Beispiel
4.2.6.3:
In diesem Artikel wird einerseits die Situation von Franzosen im besetzten
Paris verharmlost (ihnen war einfach nicht nach Singen "zumute"),
andererseits
und das noch nicht einmal ein Jahr nach Kriegsende
aus einer so starken Distanz von Krieg, deutschen Besatzungsbehörden,
Nationalsozialismus und Wehrmacht berichtet, als ob sich das Ganze in einem
fernen Land in einer fernen Zeit abgespielt hätte, jedenfalls nicht
im Geringsten etwas mit der Leserschaft und ihren Erfahrungen, ihrem vergangenen
Leben zu tun hätte. [Anm. S.J.] |
Südkurier,
8.2.1946, S. 3
Die
Straßensänger in Paris
Von unserem Pariser F. C.-Korrespondenten
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In
den letzten fünf Jahren war aus dem Pariser Straßenbild eine
Erscheinung verschwunden, die dem Leben der Stadt seit jeher eine besonders
charakteristische Note gegeben hatte: die Straßensänger.
In einem der ersten Filme von René Clair, einem der begabtesten
französischen Regisseure, in "Sous les toits de Paris",
wurden diese Straßensänger auf eine besonders hübsche
Weise gezeigt. Der Film ist vielen deutschen Kinobesuchern Ende der zwanziger
Jahre bekannt geworden, er hatte in Deutschland großen Erfolg. Diese
Straßensänger sind keine Gaukler oder geschweige denn Bettler,
ihr Beruf ist ebenso ehrenhaft, normal und von der Steuerbehörde
erfaßt wie der des Schusters oder Barbiers. Sie pflanzen sich an
einer belebten Straßenkreuzung, an einem öffentlichen Platz
oder auch irgendwo auf dem breiten Fahrdamm einer Straße auf und
im Nu sind sie von einer dichten Menge umgeben.
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Mit
dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris verschwanden die Straßensänger
aus dem Bild der Stadt.
Einmal war den Parisern nach allem anderen zumute als nach Musik und Gesang,
und auf der anderen Seite hatten die Besatzungsbehörden die Straßenmusik
verboten. Es war zu gefährlich, Leute auf den Straßen singen
zu lassen, die den neuen Herren nicht grün waren und sehr wahrscheinlich
Liedertexte gesungen hätten, in denen über das Hakenkreuz und
seine Anbeter gespottet worden wäre. Und das wäre bei dem unabhängigen,
aufsässigen, zur Spottlust geneigten Charakter der Pariser auch nicht
ausgeblieben. |
Nun
aber sind die Straßensänger wieder frei und ihre Lieder sind
lustiger und sentimentaler, ihre Zuhörer begeisterter denn je. Der
Pariser Rundfunk hat aus der Beliebtheit dieser Musikanten die Folgerung
gezogen und veranstaltet mit einem Orchester und aus dem Publikum gewählten
Sängern Straßenkonzerte. Diese Sendungen tragen den Titel "In
meinem Stadtviertel wird gesungen", und sie gehören zu den beliebtesten
Veranstaltungen des Pariser Senders. |
Und
während das alte fröhliche Gewerbe der Straßensänger
seine Wiederauferstehung feiert, geht ein anderes, vom Krieg geborenes
Gewerbe sang- und klanglos seinem Untergang entgegen. Es war etwa zur
selben Zeit entstanden, als die Straßensänger verschwinden
mußten, im Jahre 1940.
Als von der Wehrmacht nach ihrem Einmarsch die meisten Automobile beschlagnahmt
worden waren und die wenigen tausend nicht beschlagnahmten Wagen wegen
Treibstoffmangel nicht mehr fahren konnten, erschienen auf den Straßen
der Stadt die Fahrradtaxis. Erfindungsreiche und unternehmungslustige
junge Leute, die keine feste Arbeit, aber dafür um so festere Waden
hatten, bauten sich kleine zweirädrige Wägelchen mit einem Zeltstoffdach
und ein oder zwei reichlich engen und unbequemen Sitzen, spannten ihr
Fahrrad oder manchmal ein Tandem davor und beförderten verwöhnte
Leute zu astronomischen Preisen quer durch Paris. Nun
aber sind die richtigen Vorkriegstaxis
wiedergekommen, von denen schon über viertausend im Betrieb
sind. Die Fahrradtaxis sind verschwunden und so mancher dieser kräftigen
Radfahrer mag heute am Steuer des Taxi sitzen, das er sich aus den Ersparnissen
seiner Radfahrerzeit kaufen konnte. Auch Pferdedroschken sieht man kaum
noch, die Konkurrenz der Automobile hat sie nach einer fünf Jahre
langen Wiederkehr nun endgültig verschwinden lassen.
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