Südkurier,
8.2.1946, S. 3
Die
Straßensänger in Paris
Von unserem Pariser F. C.-Korrespondenten
|
|
In
den letzten fünf Jahren war aus dem Pariser Straßenbild eine
Erscheinung verschwunden, die dem Leben der Stadt seit jeher eine besonders
charakteristische Note gegeben hatte: die Straßensänger. In
einem der ersten Filme von René Clair, einem der begabtesten französischen
Regisseure, in "Sous les toits de Paris", wurden diese Straßensänger
auf eine besonders hübsche Weise gezeigt. Der Film ist vielen deutschen
Kinobesuchern Ende der zwanziger Jahre bekannt geworden, er hatte in Deutschland
großen Erfolg. Diese Straßensänger sind keine Gaukler
oder geschweige denn Bettler, ihr Beruf ist ebenso ehrenhaft, normal und
von der Steuerbehörde erfaßt wie der des Schusters oder Barbiers.
Sie pflanzen sich an einer belebten Straßenkreuzung, an einem öffentlichen
Platz oder auch irgendwo auf dem breiten Fahrdamm einer Straße auf
und im Nu sind sie von einer dichten Menge umgeben.
|
Mit
dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris verschwanden die Straßensänger
aus dem Bild der Stadt. Einmal war den Parisern nach allem anderen zumute
als nach Musik und Gesang, und auf der anderen Seite
hatten die Besatzungsbehörden die Straßenmusik verboten. Es war
zu gefährlich, Leute auf den Straßen singen zu lassen, die den
neuen Herren nicht grün waren und sehr wahrscheinlich Liedertexte gesungen
hätten, in denen über das Hakenkreuz und seine Anbeter gespottet
worden wäre. Und das wäre bei dem unabhängigen, aufsässigen,
zur Spottlust geneigten Charakter der Pariser auch nicht ausgeblieben. |
Nun
aber sind die Straßensänger wieder frei und ihre Lieder sind
lustiger und sentimentaler, ihre Zuhörer begeisterter denn je. Der
Pariser Rundfunk hat aus der Beliebtheit dieser Musikanten die Folgerung
gezogen und veranstaltet mit einem Orchester und aus dem Publikum gewählten
Sängern Straßenkonzerte. Diese Sendungen tragen den Titel "In
meinem Stadtviertel wird gesungen", und sie gehören zu den beliebtesten
Veranstaltungen des Pariser Senders. |
Und
während das alte fröhliche Gewerbe der Straßensänger
seine Wiederauferstehung feiert, geht ein anderes, vom Krieg geborenes
Gewerbe sang- und klanglos seinem Untergang entgegen. Es war etwa zur
selben Zeit entstanden, als die Straßensänger verschwinden
mußten, im Jahre 1940. Als von der Wehrmacht nach ihrem Einmarsch
die meisten Automobile beschlagnahmt worden waren und die wenigen tausend
nicht beschlagnahmten Wagen wegen Treibstoffmangel nicht mehr fahren konnten,
erschienen auf den Straßen der Stadt die Fahrradtaxis. Erfindungsreiche
und unternehmungslustige junge Leute, die keine feste Arbeit, aber dafür
um so festere Waden hatten, bauten sich kleine zweirädrige Wägelchen
mit einem Zeltstoffdach und ein oder zwei reichlich engen und unbequemen
Sitzen, spannten ihr Fahrrad oder manchmal ein Tandem davor und beförderten
verwöhnte Leute zu astronomischen Preisen quer durch Paris. Nun aber
sind die richtigen Vorkriegstaxis wiedergekommen, von denen schon über
viertausend im Betrieb sind. Die Fahrradtaxis sind verschwunden und so
mancher dieser kräftigen Radfahrer mag heute am Steuer des Taxi sitzen,
das er sich aus den Ersparnissen seiner Radfahrerzeit kaufen konnte. Auch
Pferdedroschken sieht man kaum noch, die Konkurrenz der Automobile hat
sie nach einer fünf Jahre langen Wiederkehr nun endgültig verschwinden
lassen.
|