Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

5. Aufbau und Dynamik des Texts
5.2 Prominente Textstellen
5.2.2

Anerkennung des Stellenwerts konstruktiver Entwicklungen durch Platzierung und Art der Darstellung innerhalb eines Artikels

Destruktives Gegenstück: Zunichte machen oder Herunterspielen positiver Ansätze u.a. durch schlechte Platzierung innerhalb des Artikels; durch den Zusatz, dass dafür längst Zeit gewesen wäre, durch relative Überbetonung destruktiver Entwicklungen

    Beispiel 5.2.2.3: Die "Charme-Offensive" der serbischen Armee wird in aller Breite, aber in ironisierter Weise geschildert und die Ernsthaftigkeit der Veränderungen damit in Frage gestellt. Die tatsächliche schon erfolgten Schritte des Wandels dagegen werden nur beiläufig am Ende des Artikels aufgezählt. [Anm. B.B.]

Frankfurter Rundschau, 25.5.2001, S. 2

Mit bunten Flugblättern startet eine Charme-Offensive in Südserbien
Jugoslawische Armee zieht in Kosovo-Pufferzone ein / Albaner zeigen sich skeptisch gegenüber den Versprechen Belgrads

 
Die serbische Armee ist am Donnerstag in den letzten Abschnitt der Pufferzone zu Kosovo eingerückt. Albanische Zivilisten zeigen sich skeptisch, dass Belgrad die Zugeständnisse an die Minderheit in Südserbien einlösen wird.
 
Wenn lächelnde Polizisten bunte Flugblätter verteilen, muss eine neue Zeit angebrochen sein. Nein, der Uniformierte an der Einfahrt nach Presevo - der albanischen Kleinstadt im Süden Serbiens - will keine Ausweispapiere sehen. "Sehr geehrte Bürger", lautet die ungewohnt höfliche Anrede auf dem Papier in serbischer und albanischer Sprache. Die Flugblätter der serbischen Regierung rufen die Albaner im Hinterland von Presevo auf, die Waffen niederzulegen. Wer dem Aufruf bis Ende des Monats folgt, kann mit einer Amnestie rechnen. Die Charme-Offensive wird an allen Fronten geführt: Die Orte entlang der Pufferzone zu Kosovo sind mit Plakaten zugepflastert, die für das "gemeinsame Leben" und die "gemeinsame Hoffnung" werben. Derselbe Tenor in Werbespots, die lokale Radiostationen senden. Das gehört zur Begleitmusik bei der Rückkehr der serbischen Armee in das letzte Teilstück der fünf Kilometer langen Pufferzone an der Grenze zu Kosovo. Die "Befreiungsarmee für Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UCPMB) hatte sich dort nach Abzug der Belgrader Truppen aus Kosovo einrichten können. Ein Kommandeur der UCPMB, Veliki Trnovac, wurde unter ungekärten Umständen am Donnerstag Agenturberichten zufolge erschossen. Skender ist einer der jungen Männer aus Presevo, die sich den albanischen Rebellen angeschlossen hatten. Der 23-jährige Student der Architektur hat die vergangenen zwei Monate bei den "Befreiungskämpfern" in den Hügeln verbracht. Heute ist er einer von mehreren hundert Männern, die von der Amnestie profitieren. Vor einer Woche stellte sich Skender mit anderen Rebellen der Kosovo-Friedenstruppe Kfor. Die kriegsmüden Männer brachten ihre Waffen mit und unterzeichneten eine Erklärung, wonach sie auf den bewaffneten Kampf künftig verzichten. Seit Montag ist Skender zurück in Presevo. Der junge Mann trägt jetzt wieder Zivil und will sein Studium bald fortsetzen. Wären da bei einem letzten Kampf nicht noch sieben Freunde ums Leben gekommen, könnte Skender unbeschwerter auf die Zeit bei den Rebellen zurückblicken. Von Kapitulation will er nach dem Abzug der UCPMB aber nicht reden: "Wir haben es geschafft, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Anliegen der Albaner zu lenken." Skender sieht es als Verdienst der Rebellen, dass der Dialog zwischen Belgrad und den Vertretern der albanischen Minderheit beschleunigt wurde. Die Albaner in Südserbien erwarten jedoch mehr als Slogans: "Wir werden in den nächsten Tagen sehen, ob die Versprechungen seriös sind", mahnt Riza Halimi, Bürgermeister von Presevo. Er sieht auch die internationale Gemeinschaft in der Pflicht, die das Abkommen zwischen Belgrad und der UCPMB ermöglichte: Er habe zwar schon mehr als ein Dutzend Projekte von ausländischen Hilfsorganisationen unterzeichnet. Aber nur die Schweiz habe eine Schule renoviert. Die Region um Presevo brauche eine bessere Infrastruktur und vor allem Jobs, so Halimi. Von den 47 000 Einwohnern in der Gemeinde gehen nur 2000 regelmäßiger Arbeit nach. In Verwaltung und staatlicher Industrie kommen zudem vorwiegend Serben zum Zug - obwohl in Presevo mehr als 80 Prozent der Bevölkerung Albaner sind. Bei allen Klagen gibt es aber auch Erfolge zu vermelden. Ein erstes albanisches Lokalradio erhielt nun von Belgrad die lange erwartete Sendeerlaubnis. Die Ausbildung der ersten sechs Albaner für eine multiethnische Polizei hat jetzt begonnen. An der Ausfahrt von Presevo wird im Eiltempo eine Straße asphaltiert. "Wer keine Arbeit hat, stiehlt oder führt Krieg", sagt auf dem Hauptplatz einer aus der dort versammelten Männerrunde.
Stephan Israel (Presevo)

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