Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

5. Aufbau und Dynamik des Texts
5.4 Schluss des Artikels
5.4.1 Positive Zukunftsvision und Hoffnung am Schluss des Artikels
    Beispiel 5.4.1.2:

Südkurier, 25.11.1950, S. 3

Ein französisch-deutsches Zwiegespräch

Deutschland – Frankreich – Europa
Vertrauen stärkt Verständigungswillen – Verzicht auf lähmende Vorurteile
 

"Es bestehen zwei große Völker, beide haben Großes geleistet, beide haben eine große Aufgabe gemeinsam zu erfüllen; keines von ihnen darf einem Zustand preisgegeben werden, der seine Vernichtung bedeutet. Die Welt ohne Frankreich wäre genauso verstümmelt wie die Welt ohne Deutschland; jedes dieser beiden großen Organe der Menschheit hat seine Funktion: es ist wichtig, sie für die Vollendung ihrer verschiedenartigen Mission zu erhalten." Ernest Renan

 

Die deutsch-französische Verständigung ist das Zentralproblem der europäischen Politik. Wir sind nicht so optimistisch zu glauben, diese Verständigung könnte von heute auf morgen gelingen. Das kann nicht sein, selbst nicht unter dem Druck der gemeinsamen Gefahr und der außenpolitischen Situation. Dazu ist die Geschichte der letzten hundert Jahre noch zu lebendig. Dazu sind die nationalen Ressentiments noch zu groß. Sie langsam abzubauen ist die große Aufgabe, der wir uns alle widmen wollen. Vorurteile müssen aufgegeben, Vertrauen muß geschaffen werden. Das mag im Einzelfalle nicht leicht sein. Der Weg dazu führt über die offene Aussprache. Die nachstehenden Artikel, von einem Franzosen und eine Deutschen geschrieben, wollen einen Beitrag dazu leisten.

 

Die Deutschen und wir
Von Albert Villet

 

Die politischen Voraussagen kündigten während der Parlamentsferien für den Wiederzusammentritt des Parlaments eine politische Krise an, deren Anlaß die Wahlreform sein würde.

Diese Voraussagen sind dann durch die Ereignisse dementiert worden, und wenn das Projekt einer Wahlreform, allerdings nur mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten und zweier radikaler Minister dem Parlament vorgelegt wurde, so verrät sich sein Einfluß doch nur noch in den Debatten der parlamentarischen Ausschüsse und in den Parteien. Letztere bleiben gespalten. Die Kommunisten und die MRP. bleiben Anhänger des proportionalen Wahlsystems, während die gemäßigteren und die radikalen Parteien Gegner dieses Systems sind, da die UDSR., die Partei des Ministerpräsidenten, auf ihrem Kongreß am 28. Oktober von neuem erklärt hat, daß sie geheime Wahl mit Stimmenmehrheit in zwei Wahlgängen fordert. Inzwischen ist die Dringlichkeit der Frage der Bildung einer Kommission zum Studium der Verfassungsreform abgelehnt und diese Frage damit auf einen unbestimmten Zeitpunkt aufgeschoben worden, sofern sie nicht von der MRP. in kommenden Verhandlungen mit der Wahlreform gekoppelt wird.
Diese Probleme treten jedoch angesichts der Ereignisse in Indochina in den Hintergrund. Die Nachricht von der Katastrophe von Cao-Bang und der anschließenden Evakuierung von Lang-son, jener Stadt, deren Name ein trauriges Kapitel in der Geschichte der französischen Kolonialkriege wachruft, schlug wie eine Bombe in das Publikum ein. Vielen Franzosen lagen die Ereignisse in Indochina so fern als ob sie sich in einer anderen Epoche abspielten. Diese Meinung konnte sich im Publikum festsetzen, weil das ferne Indochina der abgelegenste aller Kriegsschauplätze war. Nun aber fühlt Frankreich sich durch diese Katastrophe brüsk in seiner Ehre gekränkt, und die Reaktion im Parlament spiegelt nur getreu die Stimmung im Volke wider.
Mit dieser peinlichen Angelegenheit fielen folgende weitere Ereignisse zusammen: die Beibehaltung der Rekruten des Jahrgangs 1949, die eigentlich hätten entlassen werden sollen, im Militärdienst, die Abstimmung über das Gesetz, wonach die militärische Dienstpflicht auf 18 Monate festgesetzt wird, die Musterung des Jahrgangs 1951 und die Aushebung der Rekruten des Jahrgangs 1950. Die kommunistische Propaganda tobt sich aus mit Presse-Artikeln, Broschüren, Maueraufschriften, Plakaten. Aber das Resultat ist fraglich, denn der Franzose reagiert mit klarem Verstand. Nirgends wurde die Aushebung der Rekruten durch Zwischenfälle gestört, die über den normalen Rahmen hinausgingen und ebenso glatt ging es auch auf den Wehrbezirkskommandos bei der Musterung der Rekruten zu, wo die gleiche Atmosphäre wie früher anzutreffen war. Das Gesetz über die Wehrpflicht von 18 Monaten wurde mit 414 gegen 185 Stimmen angenommen, das Freiwilligen Bataillon für Korea zog mit klingendem Spiel durch die Straßen von Marseille und das für Indochina bestimmte Material wird ohne Zwischenfälle oder Transport-Sabotage verladen.
Und schließlich beschäftigt eine dritte Debatte von internationaler Bedeutung jetzt das Parlament, das eine ungeheure Aufgabe zu bewältigen hat: das Ausbalancieren des Budgets, das starke Belastungen für die Wiederaufrüstung zu tragen hat.
Es handelt sich um das Problem der sogenannten "Deutschen Wiederaufrüstung". Das Parlament hat zu dieser Frage Stellung genommen und mit großer Mehrheit der Regierung zugestimmt, deren Präsident erklärt hatte, daß Frankreich sich jeder Aktion widersetzen würde, die auf eine "Wiederauferstehung der deutschen Wehrmacht und des deutschen Militarismus hinauslaufen würde. Diese Abstimmung im französischen Parlament hat vielleicht gewisse deutsche Kreise in Erstaunen versetzt. Und doch drückt sie sehr deutlich die augenblickliche Stimmung der französischen Oeffentlichkeit aus, und die Wahlreden der verschiedenen Parteiführer zeugen von einer gründlichen Kenntnis der Stimmung der verschiedenen Bevölkerungsschichten. Es wäre sinnlos, das Vorhandensein des Problems der deutsch-französischen Beziehungen auf moralischem Gebiet verhehlen zu wollen. Gewiß, es gibt bereits große Fortschritte auf verschiedenen kulturellen und wirtschaftlichen Gebieten erzielt worden, und diese Fortschritte sind auch von der öffentlichen Meinung, die sich im Prinzip durchaus nicht jeder deutsch-französischen Aktivität widersetzt, gebilligt worden.
Diese öffentliche Meinung reagiert aber sofort sehr lebhaft - und in der Politik muß man den Tatsachen und nicht den Hoffnungen Rechnung tragen - sobald es sich um den deutschen Militarismus handelt, und vor allem dann, wenn von deutscher Seite einige unvorsichtige Reden überflüssigerweise vielleicht gewisse Befürchtungen haben wiederaufleben lassen, die durch Kriege entstanden sind, die in mehr als 50 Jahren soviel Trauer, soviele Ruinen verursacht und - sprechen wir es offen aus - auch soviel Haß erzeugt haben! Und es sind gerade diese Schatten der Vergangenheit, die - wie der "Rheinische Merkur" in seinem Leitartikel vom 23. September es so treffend formuliert hat - "diese Frage mit einer Hypothek belasten" und - so führt er weiter aus - "die französische Oeffentlichkeit wird unter gar keinen Umständen eine deutsche Wiederaufrüstung gutheißen, sofern sie nicht andere Garantien und andere Beweise für den guten Willen seitens Deutschlands in Händen hat."
Das französische Volk befürchtet, daß durch eine getarnte deutsche Wehrmacht, die im Rahmen des Atlantikpaktes aufgestellt würde, ein Militarismus entstehen könnte, der Vergeltung im Sinne hat, wie es zwischen den beiden Weltkriegen der Fall war.
Wir wollen hier nicht das Für und Wider dieser Grundgedanken des deutsch-französischen Problems erörtern, wir wollen vielmehr nur Tatsachen feststellen und halten es für rechtschaffen, die Schwierigkeiten nicht zu verschleiern.
Diese Schwierigkeiten sind nicht unüberwindlich, die Zeit und der gute Wille vermögen viel, umso mehr, als im Jahre 1945 nur wenig Menschen die Ausweitung der deutsch-französischen Beziehungen voraussehen konnten, wie sie jetzt im Jahr 1950 besteht.
Dieser gute Wille sollte übrigens nicht nur zu neuen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, sondern zu einer europäischen Auffassung des Problems führen, zu welcher Frankreich durch den Schuman-Plan seinen Beitrag geleistet hat.

Hierin besteht die Aufgabe der Männer die guten Willens sind.

 
(...) [Der angekündigte deutsche Beitrag wird nicht wiedergegeben, da er für das Merkmal nicht relevant ist, Anm. S.J]

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