Südkurier,
25.11.1950, S. 3
Ein französisch-deutsches
Zwiegespräch
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Deutschland
Frankreich Europa
Vertrauen stärkt Verständigungswillen Verzicht auf lähmende
Vorurteile
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"Es
bestehen zwei große Völker, beide haben Großes geleistet,
beide haben eine große Aufgabe gemeinsam zu erfüllen; keines
von ihnen darf einem Zustand preisgegeben werden, der seine Vernichtung
bedeutet. Die Welt ohne Frankreich wäre genauso verstümmelt
wie die Welt ohne Deutschland; jedes dieser beiden großen Organe
der Menschheit hat seine Funktion: es ist wichtig, sie für die
Vollendung ihrer verschiedenartigen Mission zu erhalten." Ernest
Renan
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Die
deutsch-französische Verständigung ist das Zentralproblem der
europäischen Politik. Wir sind nicht so optimistisch zu glauben,
diese Verständigung könnte von heute auf morgen gelingen. Das
kann nicht sein, selbst nicht unter dem Druck der gemeinsamen Gefahr und
der außenpolitischen Situation. Dazu ist die Geschichte der letzten
hundert Jahre noch zu lebendig. Dazu sind die nationalen Ressentiments
noch zu groß. Sie langsam abzubauen ist die große Aufgabe,
der wir uns alle widmen wollen. Vorurteile müssen aufgegeben, Vertrauen
muß geschaffen werden. Das mag im Einzelfalle nicht leicht sein.
Der Weg dazu führt über die offene Aussprache. Die nachstehenden
Artikel, von einem Franzosen und eine Deutschen geschrieben, wollen einen
Beitrag dazu leisten.
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Die
Deutschen und wir
Von Albert Villet
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Die
politischen Voraussagen kündigten während der Parlamentsferien
für den Wiederzusammentritt des Parlaments eine politische Krise
an, deren Anlaß die Wahlreform sein würde.
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Diese
Voraussagen sind dann durch die Ereignisse dementiert worden, und wenn das
Projekt einer Wahlreform, allerdings nur mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten
und zweier radikaler Minister dem Parlament vorgelegt wurde, so verrät
sich sein Einfluß doch nur noch in den Debatten der parlamentarischen
Ausschüsse und in den Parteien. Letztere bleiben gespalten. Die Kommunisten
und die MRP. bleiben Anhänger des proportionalen Wahlsystems, während
die gemäßigteren und die radikalen Parteien Gegner dieses Systems
sind, da die UDSR., die Partei des Ministerpräsidenten, auf ihrem Kongreß
am 28. Oktober von neuem erklärt hat, daß sie geheime Wahl mit
Stimmenmehrheit in zwei Wahlgängen fordert. Inzwischen ist die Dringlichkeit
der Frage der Bildung einer Kommission zum Studium der Verfassungsreform
abgelehnt und diese Frage damit auf einen unbestimmten Zeitpunkt aufgeschoben
worden, sofern sie nicht von der MRP. in kommenden Verhandlungen mit der
Wahlreform gekoppelt wird. |
Diese
Probleme treten jedoch angesichts der Ereignisse in Indochina in den Hintergrund.
Die Nachricht von der Katastrophe von Cao-Bang und der anschließenden
Evakuierung von Lang-son, jener Stadt, deren Name ein trauriges Kapitel
in der Geschichte der französischen Kolonialkriege wachruft, schlug
wie eine Bombe in das Publikum ein. Vielen Franzosen lagen die Ereignisse
in Indochina so fern als ob sie sich in einer anderen Epoche abspielten.
Diese Meinung konnte sich im Publikum festsetzen, weil das ferne Indochina
der abgelegenste aller Kriegsschauplätze war. Nun aber fühlt Frankreich
sich durch diese Katastrophe brüsk in seiner Ehre gekränkt, und
die Reaktion im Parlament spiegelt nur getreu die Stimmung im Volke wider. |
Mit
dieser peinlichen Angelegenheit fielen folgende weitere Ereignisse zusammen:
die Beibehaltung der Rekruten des Jahrgangs 1949, die eigentlich hätten
entlassen werden sollen, im Militärdienst, die Abstimmung über
das Gesetz, wonach die militärische Dienstpflicht auf 18 Monate festgesetzt
wird, die Musterung des Jahrgangs 1951 und die Aushebung der Rekruten des
Jahrgangs 1950. Die kommunistische Propaganda tobt sich aus mit Presse-Artikeln,
Broschüren, Maueraufschriften, Plakaten. Aber das Resultat ist fraglich,
denn der Franzose reagiert mit klarem Verstand. Nirgends wurde die Aushebung
der Rekruten durch Zwischenfälle gestört, die über den normalen
Rahmen hinausgingen und ebenso glatt ging es auch auf den Wehrbezirkskommandos
bei der Musterung der Rekruten zu, wo die gleiche Atmosphäre wie früher
anzutreffen war. Das Gesetz über die Wehrpflicht von 18 Monaten wurde
mit 414 gegen 185 Stimmen angenommen, das Freiwilligen Bataillon für
Korea zog mit klingendem Spiel durch die Straßen von Marseille und
das für Indochina bestimmte Material wird ohne Zwischenfälle oder
Transport-Sabotage verladen. |
Und
schließlich beschäftigt eine dritte Debatte von internationaler
Bedeutung jetzt das Parlament, das eine ungeheure Aufgabe zu bewältigen
hat: das Ausbalancieren des Budgets, das starke Belastungen für die
Wiederaufrüstung zu tragen hat. |
Es
handelt sich um das Problem der sogenannten "Deutschen Wiederaufrüstung".
Das Parlament hat zu dieser Frage Stellung genommen und mit großer
Mehrheit der Regierung zugestimmt, deren Präsident erklärt hatte,
daß Frankreich sich jeder Aktion widersetzen würde, die auf eine
"Wiederauferstehung der deutschen Wehrmacht und des deutschen Militarismus
hinauslaufen würde. Diese Abstimmung im französischen Parlament
hat vielleicht gewisse deutsche Kreise in Erstaunen versetzt. Und doch drückt
sie sehr deutlich die augenblickliche Stimmung der französischen Oeffentlichkeit
aus, und die Wahlreden der verschiedenen Parteiführer zeugen von einer
gründlichen Kenntnis der Stimmung der verschiedenen Bevölkerungsschichten.
Es wäre sinnlos, das Vorhandensein des Problems der deutsch-französischen
Beziehungen auf moralischem Gebiet verhehlen zu wollen. Gewiß, es
gibt bereits große Fortschritte auf verschiedenen kulturellen und
wirtschaftlichen Gebieten erzielt worden, und diese Fortschritte sind auch
von der öffentlichen Meinung, die sich im Prinzip durchaus nicht jeder
deutsch-französischen Aktivität widersetzt, gebilligt worden. |
Diese
öffentliche Meinung reagiert aber sofort sehr lebhaft - und in der
Politik muß man den Tatsachen und nicht den Hoffnungen Rechnung tragen
- sobald es sich um den deutschen Militarismus handelt, und vor allem dann,
wenn von deutscher Seite einige unvorsichtige Reden überflüssigerweise
vielleicht gewisse Befürchtungen haben wiederaufleben lassen, die durch
Kriege entstanden sind, die in mehr als 50 Jahren soviel Trauer, soviele
Ruinen verursacht und - sprechen wir es offen aus - auch soviel Haß
erzeugt haben! Und es sind gerade diese Schatten der Vergangenheit, die
- wie der "Rheinische Merkur" in seinem Leitartikel vom 23. September
es so treffend formuliert hat - "diese Frage mit einer Hypothek belasten"
und - so führt er weiter aus - "die französische Oeffentlichkeit
wird unter gar keinen Umständen eine deutsche Wiederaufrüstung
gutheißen, sofern sie nicht andere Garantien und andere Beweise für
den guten Willen seitens Deutschlands in Händen hat." |
Das
französische Volk befürchtet, daß durch eine getarnte deutsche
Wehrmacht, die im Rahmen des Atlantikpaktes aufgestellt würde, ein
Militarismus entstehen könnte, der Vergeltung im Sinne hat, wie es
zwischen den beiden Weltkriegen der Fall war. |
Wir
wollen hier nicht das Für und Wider dieser Grundgedanken des deutsch-französischen
Problems erörtern, wir wollen vielmehr nur Tatsachen feststellen und
halten es für rechtschaffen, die Schwierigkeiten nicht zu verschleiern. |
Diese
Schwierigkeiten sind nicht unüberwindlich, die Zeit und der gute Wille
vermögen viel, umso mehr, als im Jahre 1945 nur wenig Menschen die
Ausweitung der deutsch-französischen Beziehungen voraussehen konnten,
wie sie jetzt im Jahr 1950 besteht. |
Dieser
gute Wille sollte übrigens nicht nur zu neuen Beziehungen zwischen
unseren beiden Ländern, sondern zu einer europäischen Auffassung
des Problems führen, zu welcher Frankreich durch den Schuman-Plan seinen
Beitrag geleistet hat. |
Hierin
besteht die Aufgabe der Männer die guten Willens sind.
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(...)
[Der angekündigte deutsche Beitrag wird nicht wiedergegeben, da er
für das Merkmal nicht relevant ist, Anm. S.J]
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