Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

6. Stil und Technik
6.1 Begriffe und Attribute
6.1.4 Verwendung ausgesprochen positiver Attribute für Angehörige ehemals "feindlicher" Staaten
    Beispiel 6.1.4.4: Besonders beeindruckend ist hier, dass die Frauen der Résistance, die ja gegen die Deutschen in Frankreich gekämpft hatte, geradezu für ihren Wagemut und für ihren politischen Weitblick anerkannt werden. [Anm. S.J.]

Frankfurter Rundschau, 28.06.1946, S. 7

Die Stimme der Frau
Die politisch denkende Frau in Frankreich

 

Die Französin hat sich ihre staatsbürgerlichen Rechte - am 21. Oktober 1945 wählte sie zum ersten Male - im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft.

Die Deutschen haben es gerne, Menschen und Völker fein säuberlich in Kategorien zu schachteln. Viel gibt es wohl auch noch heute, die für die französische Frau eine solche Kategorie gebrauchsfertig bereithalten. Sie sagen es zwar nicht immer laut, aber sie denken: "Die Französin? Nicht ernst zu nehmen, frivol, schminkt sich und ist oberflächlich." Manch deutscher Soldat aber, der in Frankreich war, hat sein Vorurteil, von der ganz anderen Wirklichkeit belehrt, abgelegt. Und dabei waren es meist nicht die wertvollsten Vertreterinnen ihrer Nation, mit denen der Wehrmachtsangehörige in Berührung kam...

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Die "Union des Femmes Françaises", die heute nahezu zwei Millionen Mitglieder hat, ist in der illegalen Kampfzeit Frankreichs geboren worden. Die Leiterinnen der französischen Frauenbewegung, Yvonne Dumont, Irène Joilot-Curie, Marie Claude Vaillant-Couturier, um nur einige Namen zu nennen, haben in der Zeit der deutschen Besetzung an der Spitze der kämpfenden Frauen gestanden. Danielle Casanova, eine junge Zahnärztin, die die "Union des Femmes Françaises" begründet hat, ist am 10. Mai 1943 in Auschwitz an Typhus gestorben.

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Die französische Frauenunion umfaßt Frauen aller Kreise der Bevölkerung. Auf ihrem ersten Kongreß, auf dem vom 17. bis 20. Juni 1945 2500 Delegierte teilnahmen, saßen Bäuerinnen neben Textilarbeiterinnen, bürgerliche Hausfrauen Seite an Seite von Rechtsanwältinnen und Postbeamtinnen neben jungen Studentinnen.

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Die Frauen der "Union des Femmes Françaises" sind keine Frauenrechtlerinnen. Das dumpfe Mißbehagen, das eine Außenstehende oft empfindet, wenn sie das erstemal an einer englischen oder deutschen Frauensitzung teilnimmt, die sich in der mehr oder weniger eingestandenen männerfeindlichen Haltung ausdrückt, ist den Französinnen ganz wesensfremd. Es geht ihnen darum, ihr Land wiederaufzubauen, ihren Familien normale Lebensbedingungen zu schaffen, Kindergärten, Krippen, Kantinen einzurichten und im öffentlichen und politischen Leben ihre Forderungen in die Praxis umzusetzen.

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Wie sind nun diese nahezu zwei Millionen Frauen, die sich spontan und unter keinerlei äußerem Zwang zusammengefunden haben, organisiert? Die "Union des Femmes Françaises" hat eine Nationalleitung, der die Provinzialleitungen unterstellt sind. Da von 21 Millionen französischer Frauen acht Millionen berufstätig sind, haben die Werktätigen an ihren Arbeitsstätten Betriebsgruppen gebildet, die sich besonders mit den praktischen und sozialen Betriebsfragen beschäftigen.

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Ich habe einige Male ein paar Stunden in der Geschäftsstelle einer Stadtteilgruppe in einem sehr bürgerlichen Pariser Viertel, nicht weit vom "Etoile" verbracht. Hier kamen zu den täglichen Sprechstunden die Frauen mit all ihren Sorgen und Kümmernissen, aber ich sah auch Frauen, die Vorschläge mitbrachten. Die Atmosphäre, die in einer solchen Stelle herrscht, ist warm und wohltuend. Sie entspricht dem natürlichen Charakter der Frau. Hier spiegelt sich das Alltagsleben der Mitglieder der Union wieder, und das Vertrauen, das sich in ihrer spontanen Bereitschaft ausdrückt, der kameradschaftliche Ton, in dem gesprochen wird, zeigt besser als graphische Kurven und Statistiken, wie sehr es die "Union des Femmes Françaises" verstanden hat, ihre Mitglieder nicht nur zahlenmäßig, sondern auch menschlich zu erfassen.

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Da ist z. B. die Frage des Kinderwagens. Die Kinderwagen sind in Frankreich unerschwinglich teuer geworden. Mehr als ein Arbeitermonatsgehalt geht drauf, wenn sich eine Familie ein solch unentbehrliches Vehikel beschaffen will. Die "Union des Femmes Françaises" hat es in kurzer Zeit fertiggebracht, daß ein hübscher einheitlicher Kinderwagen zu dem für die augenblicklichen französischen Verhältnisse sehr vernünftigen Preis von 3000 Franken lieferbar ist. Dieser blaulackierte, nickelglänzende Wagen ist in der Hauptgeschäftsstelle, einem verwandelten, ehemaligen Prunkladen an den Champs Elysées, ausgestellt, der einem ehemaligen französischen Nazi gehörte.

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Auf dem Internationalen Frauenkongress, der im November 1945 in Paris stattgefunden hat, spielte die "Union des Femmes Françaises" eine entscheidende Rolle, und zwar nicht nur auf Grund ihrer hohen Mitgliederzahl. Der politische Weitblick und das entwickelte geistige Niveau der französischen Frauen, Eigenschaften, die die fünf Kampfjahre so stark zum Ausdruck gebracht haben, erfüllten die ausländischen Beobachter mit tiefer Bewunderung.

Ida Berger

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