Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

3. Perspektiven
3.1 Gefahren/Probleme vs. Hoffnung/Chancen eines Prozesses
3.1.7 Ausdrückliche Benennung der Komplexität der Sachlage
   Beispiel 3.1.7.1:

Die Welt, 2.4.2001, S.8

Es wird eng für Despoten

 
VON HERBERT KREMP
 

Für Despoten, die sich schwere Verbrechen gegen das eigene oder gegen fremde Völker zu Schulden kommen ließen, wird die Erde zum ungemütlichen Aufenthaltsort. Das Gleiche gilt für Terroristen und Übeltäter anderer Art: Sie werden erwischt. Das Netz der Investigation zieht sich elektronisch und dank biologischer Fahndungsmethoden zusammen. Geheimdienste und Greifkommandos finden leichter Zugang als früher. Der erste große Fall war die Festnahme Eichmanns im Mai 1960 in Buenos Aires durch ein israelisches Kommando. Der lange gesuchte Terrorist "Carlos" ging den Franzosen im August 1994 im Sudan in die Falle, Pinochet wurde im Oktober 1998 in London festgesetzt, der türkische Guerilla-Führer Öcalan im Februar 1999 in Nairobi.

Und nun Milosevic: Die Sache ist hochpolitisch und überaus kompliziert. Der Diktator hat als Präsident Serbiens, später der Bundesrepublik Jugoslawien vier Kriege verursacht und verloren. Sein Versuch, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo mit militärischer Gewalt in ein Groß-Jugoslawien zu zwingen, fällt nur bedingt, was die Formen des Kampfes und der Unterdrückung betrifft, in die Kategorie des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Noch sind nicht alle Gründe für die Millionenflucht der Kosovaren aufgeklärt. Die Schuldabwägung verlangt eine genaue Untersuchung des Hergangs und eindeutige Beweise. Zunächst ermittelt die serbische Regierung wegen Amtsmissbrauchs und Korruption. Sie steuert das Ziel in Etappen an.
Die Festnahme Milosevics geschah auf amerikanischen Druck. Washington dachte dabei weniger an den Balkan als an den Nahen Osten, an Saddam Hussein. Sie soll zum Symbol dafür werden, dass der Arm des Rechts lang ist, stark, auch für Missetäter beunruhigend, die noch in ihren Festungen sitzen. Ein Schachzug also im psychologischen Krieg. Nun fehlt noch die Ergreifung von Karadzic und General Mladic, die während des Bosnien-Kriegs im Dienst der serbischen Sache schwere Verbrechen auf sich geladen haben. Sie sind im Einzelnen wohl leichter nachzuweisen als die Taten ihres Führers und Anstifters.
Zwei Faktoren erschweren das Verfahren vor dem Haager Gericht: Milosevic war über Jahre der Verhandlungspartner westlicher Mächte und damit anerkannter Sprecher seines Landes. Das Abkommen von Dayton und die abschließende Legitimierung der Nato-Operation im Kosovo durch die UN kamen unter seiner Präsenz zu Stande. Man behandelte ihn nicht als "Verbrecher", sondern als Staatsoberhaupt, ließ sich mit ihm ein, konnte ihn - trotz 78 Tagen Bombardements - dem doktrinären Verfahren der "unconditional surrender" unterwerfen, wie es die Kriegsalliierten im Kampf gegen Hitler taten und wie es später in den Nürnberger Prozessen juristischen Ausdruck fand.
Die zweite Erschwernis besteht in der Rücksichtnahme auf die politische Konsolidierung Serbiens. Kostunica löste den Diktator Milosevic in einer ordentlichen Wahl ab. Zum Bürgerkrieg kam es zum Glück nicht. Milosevic wich der Entscheidung, blieb Vorsitzender seiner Partei, ließ sich ohne Widerstand isolieren. Man behandelte ihn als eine Art Staatsgefangenen, um die in allen Institutionen der neuen Regierung und in der Armee hausenden Anhänger nicht zu provozieren. Das Regime sollte "verrauchen". Mit guten Gründen beansprucht das neue Serbien Rechtssouveränität. Daher weigert sich der Präsident, das Verfahren gegen den Diktator aus der Hand zu geben.
Diese Haltung verdient volles Verständnis. Chile verfährt mit Pinochet nicht andres. Argentinien verhandelte de Rechtsbrüche der Junta im eigenen Lande, auch Kambodscha sucht bei der Ahndung der Pol-Pot-Verbrechen die nationale Rechtslösung. Sollten sich Russland und eines fernen Tages sogar China dazu durchringen, Verbrechen des sowjetischen und des maoistischen Regimes zu verfolgen, so wird das nur geschehen, wenn die internationale Justiz ausgeschlossen bleibt.

"Weltgerichten" wohnt die Eigenart von Tribunalen inne. Sie neigen dazu, Völkergericht über Völker zu halten, zu entmündigen, neue Ressentiments zu begründen. Es ist gut, dass dem politischen Verbrecher heute der "Seeräuberhafen", das billige Asyl, versperrt wird. Rechtspädagogisch ist es besser, wenn ihn das Urteil derjenigen trifft, zu denen er gehört.

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