Tageszeitung, 19.12.2000,
S. 9
"Alles
andere ist besser als Krieg"
Die Gewalt zwischen Serben und Albanern in Südserbien eskaliert.
Präsident Kotunica appelliert an beide Seiten
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VRANJE
taz Jovans Blick auf die Berge ist sorgenvoll.
Denn die im Tal gelegene Straße von Presevo nach Bujanovac ist von
oben einzusehen. Dort oben, sagt er, "sitzen sie", die "Terroristen"
der UCPMB, der albanischen Befreiungsorganisation von Presevo, Medvedja
und Bujanovac. Dem 23-Jährigen ist unwohl. Seit sich Überfälle
auf serbische Polizisten häufen, haben auch die serbischen Zivilisten
Angst. Vor vier Wochen wurden vier Polizisten getötet, die Zahl der
Verletzten geht in die Dutzende. Minen wurden gelegt, Häuser beschädigt.
Seit Beginn des Konfliktes 1999 starben auch 6 Zivilisten.
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Jovan
stammt aus der 40 Kilometer entfernten Stadt Vranje. Wie in Presevo und
Bujanovac haben sich auch dort viele serbische Flüchtlinge aus dem
Kosovo angesiedelt. Sie sind die treibende Kraft einer Bewegung, die vom
Staat Aktionen fordert. Tausende Bewohner und Flüchtlinge haben in
den letzten Tagen gegen die "albanischen Terroristen" demonstriert
und Armee und Polizei aufgefordert, "die da oben auszuräuchern". |
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Doch
die albanischen Kämpfer beeindrucken diese Drohungen nicht. In den
Bergen entlang der Grenze zum Kosovo sind die albanischen Dörfer fest
in der Hand der UCPMB. Dies ermöglichte das Abkommen von Kumanovo vom
Juni 1999, das die Modalitäten des Einrückens der Nato-Truppen
in das Kosovo festschreibt und eine demilitarisierte Zone entstehen ließ.
Die jugoslawische Armee musste sich aus einem 5 Kilometer breiten Streifen
entlang der Grenze zum Kosovo zurückziehen. Hier ist es nur der serbischen
Polizei erlaubt, "Ordnungsfunktionen" wahrzunehmen. Der Konflikt
eskalierte, als die Polizei im Frühjahr einige albanische Zivilisten
erschoss und militante Serben Albaner in Presevo und Bujanovac angriffen.
Tausende Albaner flohen, serbische Flüchtlinge bezogen die leeren Häuser.
Daraufhin zeigten sich militante Albaner mit dem Aufnäher der UCPMB
in den Dörfern. Seither werden dort Polizeistreifen angegriffen. Jetzt
traut sich serbische Polizei nur noch in Randgebiete der Zone. Und der Armee
sind die Hände gebunden. |
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Das
macht die serbischen Aktivisten wütend. Sie werfen der Regierung unter
Vojislav Kotunica Tatenlosigkeit vor. Um Kotunicas Kommen zu
erzwingen, wurden Straßen blockiert. Immer noch stehen dort kleine
Gruppen, meist junge Männer. "Als Ausländer solltest du nicht
mit denen sprechen", sagt Jovan. Selbst
serbische Journalisten aus Belgrad wurden am vergangenen Donnerstag angegriffen,
weil sie "schlecht berichteten". |
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Der
jugoslawische Präsident bezog am Wochenende eine klare Position.
Er sprach bei seinem Besuch von den Ängsten beider Seiten und insistierte
zum Missfallen der Radikalen, dass der Konflikt friedlich gelöst
werden müsse. Er forderte die KFOR im Kosovo auf, den Nachschub an
Waffen für die UCPBM zu unterbinden. Eine Kommission zu Detailfragen
werde gebildet. "Wir müssen verhandeln, nicht Krieg führen",
erklärte er. Am heutigen Dienstag werde das Problem im Weltsicherheitsrat
behandelt. Wenn sich die Lage nicht beruhige, müsse Serbien über
den Einsatz von Militär nachdenken. Dass die Eskalation den Radikalen
gelegen kommt, ist eine Vermutung, die nicht nur Kotunica ausgedrückt
hat. Vom Konflikt profitierten nur Miloevic und der im Kosovo bei
den Wahlen unterlegene Hashim Thaci, ist die durchgängige Meinung
der demokratischen Kräfte Serbiens und Kosovos. Liljana Nestorovic,
Sprecherin der serbischen Sozialdemokraten, meint, dass das geschlagene
Regime nicht aufgibt und versucht, ein Klima der Gewalt zu schaffen. In
dieser Atmosphäre könne es versuchen, Wählerstimmen zu
gewinnen.
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Jovan
weiß dazu wenig zu sagen. Er ist froh, dass er wieder nach Vranje
fährt. "Alles andere ist besser als Krieg", sagt er, "da
verlieren nur die kleinen Leute." |
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ERICH
RATHFELDER
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