Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 54, 2004

6. Stil und Technik
6.1 Begriffe und Attribute
6.1.3

Verwendung neutraler Begriffe für das Gesamtgeschehen

Destruktives Gegenstück: Diskreditierung der Position einer Konfliktpartei schon durch die abfällige Bezeichnung entsprechender Äußerungen

    Beispiel 6.1.3.4: An diesem Artikel fällt auf, dass Stimmen, die gegen die deutsche Wiederbewaffnung sprechen, durch ironisierende Wortwahl abgewertet werden ("selbstverständlich fehlt es nicht", "protestiert flammend", "gleich im Namen seiner Mitglieder"....), während Befürworter gerade aus französischen militärischen Kreisen mehrfach wörtlich zitiert werden und deren Aussagen fast die Hälfte des Artikels ausmachen. Interessant ist auch die Hervorhebung durch erweiterten Schriftabstand, so dass sich der Artikel auf den ersten Blick so liest: "für die Wiederaufrüstung Deutschlands" -- "keine Bedenken". Damit wird die Position der Wiederbewaffnungsgegner vollkommen unter den Tisch gekehrt. [Anm. S.J.]

Textausschnitt aus einem Artikel, in dem verschiedene Korrespondenten aus unterschiedlichen europäischen Großstädten berichten [Anm. S.J.]
 
Süddeutsche Zeitung, 28.7.1950, S. 3

Was die Welt so über uns denkt
Echo des Mannes auf der Straße zur deutschen Wiederbewaffnung – von Madrid bis Kopenhagen

 
"FRANKREICH BRAUCHT FELDGRAU NICHT ZU FÜRCHTEN"
E.G.P. Paris

"Was halten unsere Leser von einer Wiederaufrüstung Deutschlands?" fragte in diesen Tagen die Zeitung "Paris-Presse", die etwa eine halbe Million Auflage ausweist. Die Antworten gingen so zahlreich ein, daß die Zeitung nur einen geringen Bruchteil der Leserbriefe abdrucken konnte. Manche der eingesandten Briefe waren so ausführlich, daß ihr Abdruck eine eigene Zeitungsseite beansprucht hätte. Das Ergebnis der Umfrage war, daß 55 Prozent der Briefschreiber sich eindeutig für die Wiederaufrüstung Deutschlands aussprach, 23 Prozent dagegen Stellung nahmen und die restlichen 22 Prozent ihre Briefe mit Argumenten "Einerseits - Andererseits" füllten und meinten, das Beste sei wohl, eine Volksbefragung vorzunehmen. Selbstverständlich fehlt es bei den ablehnenden Stimmen nicht an bitteren Anklagen gegenüber Deutschland, und der Vorstand der "Liga gegen Rassismus und Antisemitismus" antwortet auf die Zeitungsumfrage gleich im Namen seiner Mitglieder und protestiert flammend dagegen, daß Deutschland jemals wieder eine staatliche Souveränität gegeben wird. Hingegen haben auffallend viele Träger höchster im Kampf gegen das Dritte Reich erworbener Auszeichnungen heute keine Bedenken, Deutschland neu zu bewaffnen. Ein "Compagnon de la libération", Ritter der Ehrenlegion, ausgezeichnet mit der "Rosette de la Résistance" schreibt: "Frankreich braucht keine Furcht vor Deutschland zu haben. Wenn Frankreich eine Nation, würdig seiner Vergangenheit, wird, dann braucht sich niemand in dieser Nation vor dem ´Feldgrau´ zu gruseln." - "Mit Verblüffung habe ich gelesen, daß in den zehn Divisionen, die aufgestellt werden sollen, keine deutschen Offiziere kommandieren sollen. Glaubt man denn, daß etwa ein englischer Kommandeur sein deutsches Bataillon daran hindern kann, mit Waffen und Gepäck zum Feind überzugehen, wenn es die Absicht hat?" - "Es gibt nur eine Lösung: Den Kanzler Adenauer zu autorisieren, zehn Divisionen mit deutscher Mannschaft und deutschen Offizieren bis zum Divisionsgeneral aufzustellen", heißt es in einem weiteren Brief. "Ja, tausendmal: ja! Man muß Deutschland aufrüsten und Europa bauen. Das eine gehört zum anderen und muß so schnell wie möglich durchgeführt werden", schreibt ein Inhaber von soundsoviel Kriegsmedaillen. Und wieder ein anderer bekennt: "Noch während des Krieges war ich ein ´Boche-Fresser´. Seitdem habe ich über vieles nachdenken müssen, am meisten in den Monaten, in denen ich die Rote Armee kennenlernte!"

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